Ich verderbe mir wohl gerade den Magen und gehe das Risiko eines halben Tages Bauchschmerzen ein, weil ich von den süßen, leckeren, kleinen Weintrauben einfach nicht genug kriegen kann, und ich sie auch nicht wirklich abgetrocknet habe, sondern gleich in den Mund gesteckt habe – dabei sollte man doch gerade bei Regenwetter mit dem Wasser aufpassen. Tja, ich nehme allerdings auch an, dass es jedem der diese Trauben probieren würde, das Risiko wert wäre.
Beim Thema Regenwetter wären wir bei der Entdeckung des Tages. Gerade komme ich von meinem allerersten und wie ich finde sehr erfolgreichen Netzwerk-Analyse-Interview zurück. Zickzack hüpfend, den Pfützen (obwohl man größtenteils nicht mehr von Pfützen, sondern Bächen oder komplett unter Wasser stehenden Straßen sprechen muss) ausweichend und gleichzeitig aufpassend nicht von einem Auto angefahren zu werden, begebe ich mich also durch das Straßenlabyrinth in Bakus Innenstadt. Dem Teil der Stadt, in dem die alten zwei- bis dreistöckigen nicht renovierten Wohnhäuser aus den Zeiten des Ölbooms zu Beginn des vorigen Jahrhunderts noch nicht den nach wie vor aus dem Boden schießenden Hochhäusern weichen mussten. Dem Teil der Stadt in dem ich gerade wohne. In dem Teil der Stadt in dem alle Straßen enge Einbahnstraßen sind, es aber keine Straßenschilder gibt, die die Richtung anzeigen, die Autofahrer aber trotzdem zu wissen scheinen, in welche Richtung sie fahren dürfen. Platz für Fußgänger ist nicht vorgesehen, und ich bleibe deswegen immer stehen, wenn ein Auto kommt, damit es mir nicht über die Füße fährt. Das veranlasst allerdings die meisten der überwiegend jungen Fahrer dazu ihr Tempo schlagartig zu drosseln, neben mir anzuhalten und dann im Schneckentempo weiterzufahren. Denken die, ich will bei ihnen einsteigen oder einen kurzen Streetdance zur nicht zu überhörenden Musik, die aus dem Auto kommt, hinlegen?! Auf jeden Fall komme ich in unserer Wohnung an und muss anderthalb Meter vor meiner Zimmertür direkt vor dem Kühlschrank in der Küche eine bunte große Schüssel entdecken. Auf einem in der Schüssel liegenden Zettel ist zu lesen „Ist raining through. Halleluja“. Tatsächlich, es regnet bei uns seit heute durch die Decke. Aber ich denke, das ist halb so schlimm, denn wir befinden uns ja immer noch im semiariden Raum und ich hoffe doch, dass die Wasserkapazität der Atmosphäre demnächst erschöpft ist. Außerdem ändert sich das Wetter in Baku wohl im selben Tempo wie die Launen des Umweltministers. Ich bin also optimistisch und man kann morgen vielleicht schon wieder mit Sonnenschein rechnen. Als ich angekommen bin Ende letzter Woche erwarteten mich bis Sonntag täglich strahlend blauer Himmel, Sonne non-stop und Temperaturen bis 25 Grad. Optimale, zumindest äußere Bedingungen um sich auf ein weiteres Mal „Abenteuer Aserbaidschan“ einzulassen.
Eigentlich hat sich nichts Wesentliches verändert, die Luft schmeckt immer noch nach Öl, manchmal nach Salz oft nach Staub und Abgasen, die Bakuiner spielen immer noch an jeder Hausecke Nard und trinken zu jeder Gelegenheit leckeren Tee, auch in Sachen Kleidung sind sie sich und ihrem schwarz-weiß-schick-und-gepflegt-Stil treu geblieben. Unwesentlich gibt es noch mehr Autos bzw. eigentlich so viele Autos, wie ich noch nie auf einem Haufen gesehen habe, anscheinend eine 24/7 Rushhour auf allen Straßen und Wegen und genau so viele Rohbauten und Neubauten wie vor ein oder zwei Jahren, nur an anderer Stelle. Doch diesmal ist nicht der Fountain Square (der zentrale Platz/Park mitten in der Stadt) ‚completly under construction‘ sondern die komplette restliche Innenstadt und die ganze Targovaya (Fußgängerzone). Woanders renoviert man ein Haus nach dem anderen und dann vielleicht noch irgendwann die Straße. Aber das ist doch reine Zeitverschwendung – in Baku wird alles auf einmal saniert (Fußgängerzone in einer Millionenstadt, man kann sich die Größenordnung also vorstellen). Konsequenterweise versucht man sich bei Wind die Staubkörner aus den Augen zu reiben und bei Regen den Schlammpfützen auszuweichen. Interessanterweise hat aber gerade in den Abendstunden diese Großbaustellen-Atmosphäre eher an Charme gewonnen und die Leute schlendern immer noch mit Vergnügen und wider jeglicher Umstände zu jeder Tages- und Nachtzeit in Scharen durch die Innenstadt. Ist aber auch spannend mit fünf Zentimeter Absätzen über Planen und Sand- und Geröllberge zu steigen und auf Holzbalken zu balancieren. Renoviert und gebaut wird in Baku wirklich in rekordverdächtigem Tempo, aber mit zunehmendem Ausmaß des construction booms wird auch die zunehmende Selektivität der Maßnahmen sichtbar. Denn verlässt man die Innenstadt dann werden keine Gebäude mehr saniert, geschweige denn Wohngebäude alles ist in einem eher baufälligen Zustand wie eh und je, nur neue 6-spurige Straßen und riesige Brücken und Tunnel erheben sich zwischen den alten abgenutzten Sowjetbauten. Monströse Brücken und komplexe Straßenführung lassen einen schon mal die Orientierung verlieren und auch im vertrauten U-Bahnsystem ist nichts mehr so wie es mal war. Eine Station gibt’s nicht mehr und meiner Ansicht nach ist mindestens eine neue, wenn nicht mehr hinzu gekommen. Außerdem hat sich der Fahrpreis vor einem Monat verdreifacht – wie auch immer solche Preisanstiege dem Verbraucher gegenüber gerechtfertigt werden, wahrscheinlich gar nicht. Auf der einen Seite scheint die Zeit also stehenzubleiben und um die nächste Straßenecke geblickt ist man wie mit einer Zeitmaschine schon 50 Jahre weiter.
Was mir sofort aufgefallen ist, ist der verlässliche Ruf des Muezzins mehrmals am Tag. Ich habe in Baku noch nie vorher den Muezzin gehört, was vielleicht mit der Lage meiner früheren Unterkünfte zusammenhängt. Auf jeden Fall verleiht das dem ganzen Setting hier eine stark ‚orientalische‘ Komponente, aber außer mir scheint dieser regelmäßige Ruf nicht viele zu interessieren.
Bekanntschaft durfte ich schon mit dem Gasmann machen. Oder besser gesagt mit der Gasfrau, die wohl ihren Ehemann mitgebracht hat, der ihren Stuhl hält, auf den sie steigt, um den Zähler abzulesen, der ungefähr bei 4 Metern angebracht ist. Dabei sollte sie nicht herunterfallen, denn hinter ihr die optimale Gelegenheit zum freien Fall vom dritten Stock das Treppenhaus hinab. Aber um das zu verhindern ist ja der mitgebrachte Gasmann zuständig. Auf jeden Fall wird dann ein Preis ermittelt, den unerfahrene wie ich z.B., nicht einschätzen können. Auf Aserbaidschan herausfinden, was denn das Gas kostet bzw. wie hoch der Verbrauch im Allgemeinen pro m2 ausfällt ist zu kompliziert. Gut 14 Euro für eine 3-Zimmer-Wohnung klingt im ersten Moment ja auch nachvollziehbar. Übers Ohr gehauen wurden wir offensichtlich aber doch, denn eigentlich hätte der Gasverbrauch etwa 2 Euro gekostet.
Auf jeden Fall ist es inspirierend und auf eine Art auch schön, wieder in Baku zu sein. Ich bin sehr gespannt, was die nächsten Wochen bringen werden, und freue mich darauf!