07.03.2008

Das wars - Aserbaidschan 07/08

Wieder in Deutschland. Ich kann es noch gar nicht richtig glauben, Baku und Aserbaidschan sind doch noch so nah und ich habe das Gefühl ich gehe jeden Moment auf die Straße und stehe auf dem Hüsein Cavid Prospekt, laufe Richtung Elmlar Akademiyasi und quetsche mich in die total überfüllte Metro, steige eine halbe Stunde später bei Neftciler wieder aus und mache mich auf den Weg ins AOS-Büro. Mehrab mir grinsend gegenüber sitzend, Sevinj, Anelya und Co im Nebenzimmer, arbeite ich an der IBA Digitalisierung Aserbaidschans. Mittags kochen wir zusammen Linsensuppe, danach gibt es Tee, Karamellbonbons, Schokolade und Kekse. Arbeiten, Tee trinken, quatschen, die meisten Tage vergehen schnell. Nach dem Arbeiten gehen wir alle zusammen zur Metro. Auf dem Weg ein wunderschöner Baku-Sonnenuntergang, im Vordergrund halbfertige Hochhäuser, Satellitenschüsseln, Sowjetbauten, das alles in das Glutrot der untergehenden Sonne getaucht. In der wieder sehr vollen Metro unterhalten wir uns angeregt auf Englisch bzw. Deutsch, lachen und sind der Mittelpunkt des Geschehens. Als ich in Elmler ankomme ist es schon dunkel. Die Obst- und Gemüseverkäufer, die sich bei gutem Wetter nach Einbruch der Dunkelheit mit ihren Autos voller Kisten mit Äpfeln, Granatäpfeln, Orangen, Mandarinen, Kartoffeln, Zwiebeln, Möhren und Walnüssen auf dem Platz vor der Metrostation aufstellen, versuchen mich davon zu überzeugen, dass ich etwas verpasse, wenn ich nicht wenigstens ein paar Granatäpfel kaufe. Klar kaufe ich Granatäpfel und denke dabei an den größten Granatapfelfan – Corinne. Am Laden an der Ecke kaufe ich noch ein frisches knuspriges Brot, ein bisschen Käse und Auberginenpaste. Andrej ist schon zuhause, im Internet versunken, Wasser gibt es nicht, aber für Tee ist noch ausreichend im Wasserkessel. Vüsal kommt zum Filmgucken vorbei. Vorher trinken wir noch schwarzen Tee zusammen mit dunkler Schokolade, hören aserbaidschanische Musik und diskutieren über die unterschiedlichen Verhaltensweisen der deutschen und der aserbaidschanischen Kultur.....
Und wie schließe ich jetzt mit dem Kapitel „mit ASA in Aserbaidschan“ ab? Gar nicht, denn meine Erlebnisse, Erfahrungen und Eindrücke aus Baku und Umgebung, Sadihli, Lenkoran und dem Hirkan, werde ich nie vergessen. Es war einfach nur super! Und bevor ich jetzt in einer endlosen Abschieds-Duselei ende, einfach ein paar Schnappschüsse von meinen letzten wundervollen Tagen in Baku.

Vüsal
schön posieren vor dem Baku-Panoramablick mit Zülfiyya, Sevinj M. und Sevinj S.
ein bißchen Sowjetistan darf nicht fehlen
der flauschige Freund lief mir im Vogelzoo vor die Kamera Zülfiyya und Leila, Samstag vornittag zur english conversation on environmental issues
Mehrab :-)
Irgendndwie ist es einfach gerade SUPER! Aber vielleicht bin ich auch ein bißchen verrückt geworden...? Hauptsache Zülfiyya behält den Überblick ;-) [das Foto sieht irgendwie gestellt aus, je länger ich es betrachte, dabei ist eines der wenigen, die nicht gestellt waren...]
nein, verrückt nicht...nur glücklich :-)
meine drei süßen AOS-Mädels: Anelya, Sevinj M. und Sevinj S.
meine Deutsch-Studenten in der Sprachschule (von links nach rechts: Ilgar, Ilkin, Faiq, Mirhasan, Orxan, Calal, Nigar, Emil, Yusif, Türkan, Fuad)
und der gute Heydar wacht über allem...(wo in anderen Ländern Produktreklame hängt, ist es in Baku eben Ex-Präsidentenreklame)
mmmh..authentisch mit Schapka komplett aus Schafsfell
mit Vüsal, Philipp und Said im Teehaus
I wish I could fly... (Sevinj M., Sevinj S., Mehrab, Zülfiyya)
schöne Architektur
...und noch mehr
authentische Architektur

und damit es einem auch in Zeiten des Baubooms immer gut in Baku gefällt, gibt es überall diese Absperrungen, mit Fotos von der Stadt, vom Land oder Tulpenfeldern zu sehen

Aserbaidschan zum Verlieben - mindestens 9 Gründe ;-)

Marschrutka: liebevoll geschmückt und dekoriert. Da sind fein säuberlich und in einer Reihe galoppierende, silberne Pferdchen über den Sonnenblenden angebracht. Sie springen wiehernd von der Fahrertür bis zur Beifahrertür. Die Sonnenblenden sind meistens zu (Rück-)Spiegeln ummodelliert. Glitzernde Rosen- und Nelkensticker umrahmen in rot, gelb, türkis, blau, lila, orange und schrillem pink die Spiegel. Das Bild, welches sich also dem Fahrer bietet sind die Gesichter der Fahrgäste umringt von blühenden Blumen. Was vom Rückspiegel herunterbaumelt ist auch schwer zusammen zu fassen. Ich habe bis jetzt von der Gebetskette bis zum Abbild eines hübschen Fraugesichts alles gesehen. Über der Fahrertür fast schon an der Fahrzeugdecke hängen meistens kleine Abbilder von „Mirmövsüm ağa“ einer wichtigen aserbaidschanischen religiösen Persönlichkeit. Außerdem ist das Armaturenbrett entweder mit Samt, Teppich oder Fell bedeckt. Abends werden manchmal noch bunte Lichterketten angeschaltet, die sich kunstvoll auf dem Armaturenbrett winden. Kurz vor Weihnachten bekomme ich etwas ganz Besonderes zu Gesicht. Ein etwa 30cm hohes wie breites rotes Herz, durch das ein blauer Pfeil schießt und das Wort Love in Grün geschrieben steht. Das Herz ist umringt von einem gelben Kreis. Sobald diese Konstruktion an Strom angeschlossen wird, geht es los. Zunächst leuchten alle Elemente der Reihe nach einzeln auf und am Ende blinkt das Gesamtergebnis drei mal. Traumhaft kitschig, wenn man es sich abends im Dunkeln auf dem Nachhauseweg durch Baku gemütlich macht. Nicht zu vergessen – die Musik. Überwiegend hören die Fahrer aserbaidschanische Musik. Traditionelle, klassische, aber auch moderne unter anderem mit türkischen Interpreten. Manchmal Radio, US-Pop, russischer Pop, aber auch Falco und Modern Talking. So eine Marschrutkafahrt hat also mal abgesehen von den viel zu kleinen Minisitzen (für kurze, schmale Menschen), dem doch zum Teil rasanten Fahrstil, dem man schutzlos ausgelassen ist, besonders, wenn man gekrümmt an die Wand gequetscht steht (also in eine Marschrutka mit so etwa 16 Sitzplätzen passen zu Stoßzeiten auch gerne mal 25 Leute) also tatsächlich liebenswerte Annehmlichkeiten, die einen öfter schmunzeln lassen.
Überhaupt scheinen die Menschen hier sehr angetan von bunten Lampen zu sein, denn auch nach der Weihnachtszeit sind Bäume und Sträucher mit bunten Lichterketten behängt und im Dunkeln scheint mir Baku oft viel farbenfroher als bei Tageslicht.

Kinder sind selbstständige kleine Menschen. Sobald sie auch nur annähernd dazu in der Lage sind an der Hand von Mama, Papa, Omi oder Schwester zu gehen, ohne umzufallen, geht es los auf Erkundungstour durch Baku. Ich habe erst ein oder zwei Kinderwagen erblickt, was verhältnismäßig wenig ist, denn es gibt hier weitaus mehr Kinder als zum Beispiel in Deutschland. In der U-Bahn oder Marschrutka mag es noch so voll, sein, dass man schon nur noch auf einem Bein steht, eingequetscht zwischen sechs Aserbaidschanern, jedes Kind bekommt seinen eigenen Sitzplatz und auf dem Schoß sitzt fast niemand, also weder kleine Kinder noch Freundinnen. Die Marschrutka ist brechend voll, eine Mutter und ihre kleine Tochter steigen ein und sofort steht jemand auf um dem kleinen Mädchen den Platz anzubieten, aber die Mutter würde sich eher nicht hinsetzen und das Kind auf ihren Schoß nehmen. Kinder sind selbständige Menschen – was für ein großartige Einstellung!

Sehr zuvorkommend: Oft ist es in der U-Bahn sehr voll und man bekommt keinen Sitzplatz. Im Land der Gentlemen stehen die Männer zu 80% auf, wenn eine Frau einsteigt und bieten ihr ihren Platz an oder machen sie auf einen Platz aufmerksam. Falls es aber dann immer noch keinen Sitzplatz für eine Frau geben sollte und sie trägt eine Handtasche oder eine Tüte mit sich herum, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass die Frau, die vor ihr sitzt ihr die Tasche abnimmt, um sie auf ihrem Schoß zu halten bis sie aussteigt, denn eine Tasche ist schließlich schwer und erschwert das Stehen in der U-Bahn. Auch mir wollte letztens ein Mann meinen Rucksack abnehmen, der sowieso aufgrund der Tatsache, dass es ein Rucksack in dieser Größe ist und dann auch noch bunt (also nicht schwarz) immer viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ich hielt ihn zwischen meinen Beinen und der Fahrgast neben mir fragte mich freundlich ob er den schweren Rucksack für mich halten könne. Ich war ganz baff, aber lehnte dankend ab. Seitdem ich zum ersten Mal gesehen habe, wie sich einander nicht kennende Frauen ihr Gepäck austauschen, habe ich mir oft überlegt ob ich das machen würde, also jemandem meine Handtasche in die Hand drücken. Ich denke das hat viel mit gesellschaftlichem Vertrauen und Misstrauen zu tun. Wahrscheinlich würde ich es aus dem Grund nicht machen, da ich meine Sachen ja auch selber halten kann und nicht unter der Last einer Tüte Granatäpfeln zusammenbreche werde. Ob ich die Tasche von einer anderen Frau halten würde, ich denke schon. Aber angeboten habe ich es noch niemandem, denn dazu ist die kulturelle Hemmung zu groß bzw. immer noch der Hintergedanke, dass die Frauen, die das Gepäck austauschen sich irgendwo her kennen und mir dann unterstellt wird, ich wollte mich an irgendjemandem bereichern.

Wie sehr schätze ich in Aserbaidschan den Umgang von Männern untereinander. Natürlich nicht uneingeschränkt, ich will mich hier auf gar keinen Fall für Prügeleien und Straßenkämpfe stark machen. Aber Jungs und Männer die befreundet sind, liegen sich unverkrampft in den Armen, küssen sich zur Begrüßung auf die Wange, und streicheln sich über den Kopf ohne das irgendjemand gleich denkt sie wären homosexuell. Mädchen können sich ja auch in fast allen Kulturen berühren, aus Freundschaft, aus Zuneigung, weil man sich gern hat, warum Männer eigentlich nicht? Andererseits hat das vielleicht auch etwas mit Kompensation zu tun, denn je mehr sich in Deutschland befreundete Mädchen und Jungs berühren können, desto seltener kommt es hier zu körperlichem zwischengeschlechtlichem Kontakt, es sei denn man ist verlobt oder verheiratet. Aber nichtsdestotrotz empfinde ich den Umgang zwischen Freunden hier sehr angenehm, unverkrampft und ehrlich.

Der Ton macht die Musik. Was mir jedes Mal, wenn ich U-Bahn fahre ein kleines Gefühl von Sicherheit gibt, sind die kleinen Melodien, die an jeder Station kurz vor dem Öffnen der Türen ertönen. Sie sind vertraut, bekannt, erfrischend und wenn aus irgendwelchen Gründen der Ton ausfällt, dann löst das nicht nur in mir eine gewisse Unzufriedenheit aus. Am besten gefällt mir das „Lied von den Studenten“, das ertönt bevor die Stimme „Elmlar Akademyasi“ (unsere Station [Akademie der Wissenschaften]) ruft. Zuhause – aussteigen.

Der Apfelmann: „Mann, wann kommt denn der Apfelmann endlich mal wieder“, „ Ich geh einfach mal spazieren und irgendwo werde ich schon einen Apfelmann finden“, „Wo steht der Apfelmann?“, „Ui, der Apfelmann!“. Solche und ähnliche Ausrufe geben wir von uns bezüglich der Apfelmänner in Baku. Es handelt sich um meist mittel alte Aserbaidschaner, die ihren alten Wolga randvoll mit Äpfeln packen, dann zu ihrem Stammplatz irgendwo in Baku fahren und den ganzen Tag Äpfel verkaufen und meistens auch noch Walnüsse. Aber natürlich nur, wenn das Wetter entsprechend ist und es viele Äpfel gibt. Das Kilo Äpfel aus dem Kofferraum gibt es im Winter für 60 gepik. Sehr leckere Äpfel und wir schlagen jedes Mal zu, wenn unser Apfelmann wieder vorne beim Laden an der Ecke steht. Wir haben schließlich einen hohen Apfelverschleiß: Apfel für Herkules zum Frühstück, Apfelkuchen, Apfelkompott und die Äpfel zwischendurch. Als Variante gibt es auch den Granatapfelmann, der dann natürlich entsprechend Granatäpfel verkauft und der vor allem Corinnes Herz erobern konnte. Im Herbst gibt es auch noch den Kakimann, aber damals durchblickten wir das Prinzip noch nicht so genau, wussten gar nicht, wie gut Kaki schmeckt und haben deswegen nicht beim Kakimann eingekauft. Ich bin mir sicher im Sommer wird aus dem Apfelmann dann ein Melonenmann oder etwas Ähnliches. Auf jeden Fall sind diese Apfelmänner immer total nett und freuen sich, wenn man bei ihnen einkauft. Normalerweise verläuft ein Einkauf folgendermaßen: „Wie viel kostet das Kilo?“ „Wie viel möchten sie? Das Kilo kostet 60 gepik.“ „Ah gut, dann nehme ich bitte zwei, nein drei Kilo für 1,80 AZN.“ Der Apfelmann füllt eine Tüte mit Äpfeln und hängt den Sack dann an eine Waage. „Das ist ein bisschen mehr, deswegen zwei Manat.“ Ich muss lachen, so ein kleines Schlitzohr, gebe ihm seine zwei Manat und freue mich, dass ich wieder mal einen ganzen Beutel voller frischer Äpfel habe.

Die alten Frauen, die Nüsse in kleinen Altpapiertütchen verkaufen, habe ich zwar nie persönlich kennengelernt, weil ich auch nie etwas bei ihnen gekauft habe, aber ihre Anwesenheit an jeder Ecke und vor der U-Bahn ist mir sehr sympathisch und gehört zum Stadtbild von Baku dazu. Sie hocken auf kleinen Kistchen hinter größeren Kisten auf denen sie ihre Ware auslegen: kleine kegelförmige Papiertütchen gefüllt mit dunklen Sonnenblumenkernen, hellen Sonnenblumenkernen, Erdnüssen, Haselnüssen und Wallnüssen. In ihrem Schoß ruht ein großer Sack Erdnüsse und sie füllen mit einem kleinen Becher gemütlich ihre Tütchen.

Romantik am Boulevard: Sobald es nicht regnet oder so sehr stürmt, dass man fast weg fliegt ist der Boulevard am kaspischen Meer, südlich der Stadt immer belebt. Man trifft Familien, Geschäftsleute bei einem lockeren Plausch und junge Aserbaidschaner, die mit ihren Freunden spazieren gehen, aber vor allem sieht man Liebespaare. Sie stehen in regelmäßigen Abständen von etwa 10 Metern, wenn viel los ist bzw. 50 Metern, wenn wenig los ist an der Mauer, die die Promenade vom Meer trennt. Der Mann steht mit dem Rücken zur Mauer und die Frau lehnt sich dann frontal in ihn an. So sieht das eigentlich bei allen Paaren aus. Aber besonders romantisch ist nicht nur der Boulevard am kaspischen Meer, sondern auch der befestigte Park oben auf dem Hügel beim Denkmal zum 20. Januar 1990 von dem man einen schönen Blick auf die Stadt hat. Hier stehen auch immer viele junge Paare und genießen die Aussicht und flüstern sich schöne Dinge ins Ohr. Was mich in Aserbaidschan sehr freut, ist die Tatsache, dass junge Menschen sich verlieben und ihre Liebe in Grenzen (weiter und enger) ausleben können. Optimalerweise heiraten sie ein oder zwei Jahre nachdem sie sich kennengelernt haben oder aber sie stellen fest, dass sie wohl doch nicht so gut zueinander passen und orientieren sich problemlos neu. Obwohl man davon ausgehen könnte, dass sich der Verheiratungsprozess wie in den meisten anderen muslimischen Ländern auch in Aserbaidschan nur zwischen den Eltern und dem Mann abspielt, ist es in Aserbaidschan, wie bei uns eben überwiegend die Entscheidung von Mann und Frau selber und höchstwahrscheinlich eine Entscheidung aus Liebe (na ja zumindest würde ich mir das wünschen).

06.03.2008

Spontan: das erste Mal in der Disko

Freitag halb zwölf Uhr abends in der Innenstadt von Baku. Letzter Abend von Anke und Co (also zwei Mitarbeitern der GFA Consulting Group, die sich zusammen mit dem Nabu für ein Projekt in Aserbaidschan bewerben) und wir wollen tanzen gehen oder einfach nur zusammen sitzen und was trinken. Eigentlich bin ich viel zu müde und weder seelisch noch physisch (ich schleppe einen dicken Rucksack mit mir herum mit Dingen, die Anke für mich mit nach Deutschland nimmt) darauf eingerichtet irgendeine Ausgehlokalität aufzusuchen und dann auch noch in dem immerzu aufgestylten Baku. Aber egal, als Ausländer und vor allem als junge, ausländische Frau hat man mehr oder weniger Narrenfreiheit. Ein kurzer Zwischenstopp im Hotel und ich werde meinen Rucksackinhalt los. Auch meine anfangs sehr einschläfernde Müdigkeit scheint die Hoffnung auf Schlaf aufzugeben und ich bekomme langsam mehr Lust, mich noch ein Weilchen zu vergnügen. Nach drei erfolglosen Versuchen in diversen Bars und Diskos, die entweder geisterhaft leer sind, total überfüllt mit African Americans oder einfach gar nicht wirklich existieren, stehen wir plötzlich neben dem „Chill-out“. Es handelt sich wohl um einen Klub für die eher Betuchten unter den Aseris, denn ein Schild neben dem Eingang, den drei Securities bewachen, weist daraufhin, dass hier nur „Club Members“ erwünscht seien. Aber wir dürfen auch ohne Mitgliedschaft rein, die Frauen umsonst, die Männer für 10 Manat. Wir nehmen in einer kleinen Sofaecke Platz, bestellen Bier und Cocktails und lassen uns langsam aber sicher auf die R’ n B Musik, die extatisch, zum Teil echt gut tanzenden Aserbaidschaner und die Tatsache, dass wir in Baku in einer Disko sind, ein. Willkommen im Aserbaidschan der High Society: junge Mädchen und Jungs, in den neuesten Markenklamotten, rauchend, bauchfrei, Cocktails schlürfend. Überhaupt die Tatsache, dass hier Mädchen mit den Hüften wackeln und sozusagen alleine nach zehn Uhr unterwegs sind.
Ich habe ja nicht wirklich Übung darin zu R’ n B und HipHop zu tanzen und weiß manchmal nicht so recht, wie ich mich bewegen soll, aber im Großen und Ganzen macht es echt Spaß und wir genießen unseren Diskoabend in vollen Zügen. Wir legen eine Tanzpause ein und plötzlich trauen sich die jungen Aserbaidschaner auch wieder zu mehreren auf die Tanzfläche und ziehen, wohl um uns zu beeindrucken oder wie auch immer eine regelrechte Show ab. Sehr lustig, wie sie sich in ihren engen Jeans albern zur Musik bewegen und dabei dünne, lange Mentholzigaretten rauchen. In Deutschland würden wir vielleicht denken, die Jungs seien schwul. Würden wir das hier aussprechen, dann wäre das eines der größten Fettnäpfchen, in das man in Aserbaidschan treten kann. Im Taxi nach Hause dröhnen mir noch die Ohren ( ja ja so laute Musik bin ich gar nicht mehr gewohnt), in Gedanken tanze ich noch eine Weile und verarbeite wie so oft den Reichtum der aserbaidschanischen Kontraste.

Vom Vögel zählen und Ölgepansche

Winterzeit ist Vogelzählzeit, zumindest in Aserbaidschan, wo sich um diese Jahreszeit eine kleine Horde Zugvögel aus West- und Nordeuropa versammeln. Jetzt tummeln sich vor allem Schwäne, viele verschiedene Entenarten, Gänse, Kormorane und auch ein paar Flamingos auf den Gewässern Aserbaidschans. AOS mobilisiert seine engagierten, jungen Mitglieder, mietet eine Marschrutka, packt einen Koffer voll mit Ferngläsern und auf geht es den ganzen Januar und Februar hindurch zu den Überwinterungsgebieten der Zugvögel Aserbaidschans. Wir sind etwa zu zehnt als wir uns auf den Weg nach Pirallahi, die Insel am äußersten Ende der Abscheron Halbinsel, machen.

Während die anderen eifrig damit beschäftigt sind, einzuschätzen welche Vogelarten sich in einem gegebenen Rechteck zu wie viel Prozent verteilen, Schwäne und Flamingos beobachten und versuchen der Kälte und dem kalten Wind zu trotzen, habe ich nur Augen für das was es neben den Vögeln auf Pirallahi auch zu sehen gibt: Erdöl. In rauen Mengen, überall. Noch ganz frisch in Aserbaidschan, dachte ich am Anfang immer, dass die Erdölpumpen mehr oder weniger unkontrolliert vor sich her pumpen und die Leute je nach Bedarf vorbeikommen und sich mit dem Eimer das Öl aus den Becken abschöpfen. Denn neben jeder Pumpe ist auch eine große Mulde in den Boden gegraben und diese Becken sind meistens randvoll mit Erdöl gefüllt. Allerdings gibt es auch bzw. eigentlich gibt es ein unterirdisches Leitungssystem. Nur scheint das ziemlich marode zu sein und enorm zu lecken, denn ich habe das Gefühl mindestens die Hälfte des gepumpten Rohöls landet im Auffangbecken und nicht in den vorgesehenen Leitungen. Die ganze Situation erweckt in mir immer den Eindruck eines schlechten Witzes, denn wenn man nicht wüsste, dass es sich bei dem was da aus dem Boden blubbert um schwarzes Gold handelt, nach dem sich fast die ganze Welt die Finger leckt, dem hier aber unachtsam keine Sorge getragen wird, könnte man meinen, es handelt sich um irgendwas Unerwünschtes, das alle loswerden wollen.

Ich spaziere also so zwischen den kleinen schwarzen Geldseen hin und her und frage mich, wie man ernsthaft, ohne wenigstens ein schlechtes Gewissen zu bekommen, diese Situation rechtfertigen kann. Wie war das doch gleich, ein Tropfen Öl verseucht 100 Liter Wasser oder mehr? Von Natur kann man auf Pirallahi teilweise kaum noch sprechen, denn das Öl bedeckt fleckenhaft und auf eine große Fläche verteilt den Erdboden. Am Spektakulärsten wird es jedoch als wir neben einem Socar-Gelände Vögel zählen wollen. Socar steht für State Oil Company of Azerbaijan Republic und besonders während dieses Ausfluges habe ich Socar überaus lieb gewonnen und ihnen fast meine Kamera „geschenkt“. Man stelle sich ein mit Stacheldraht eingezäuntes Gelände vor, innerhalb dessen Grenzen, eine Handvoll Zylindertanks stehen. Offensichtlich bis zum Rand mit feinstem schwefelarmen, aserbaidschanischem Erdöl gefüllt, denn am Fuße jeden Tanks fließt ein etwa ein halben Meter breites Ölrinnsal, den Hang hinunter, unter dem Zaun hindurch in die Landschaft hinein, hinterlässt eine schwarze Spur und bildet Erdölseen. Bewacht wir das Socargelände von einem Socar-Mitarbeiter auf einem Wachturm. Als wir mit Teleskopen und Ferngläsern bewaffnet das Gelände passieren und uns gleich hinter dem Zaun zum Vögelzählen aufstellen wollen, weist der Mann uns von seinem Wachturm direkt hinter uns darauf hin, dass wir uns hier nicht aufstellen dürften, das sei fast das Gelände von Socar. Und wir sollten nicht auf die Idee kommen Fotos zu machen. Also gehen wir hundert Meter weiter vor und der Mann auf dem Hochstand scheint befriedigt. Ich stelle mich mit dem Rücken zum Socargelände und zum wachenden Socarmenschen mit angewinkeltem Arm auf und Mehrab macht unauffällig ein paar Beweisfotos. Der Socarmensch bemerkt nichts und so habe ich meine Fotos und die Kamera immer noch.

das ist einer der Erdölseen, einfach nur Öl

das ist es und ich pansche im Brei herum...

geheimes Foto... für einen Augenblick schaut der Wachmann auf seinem Posten gerade nicht zu uns herüber

eigentlich hat die Landschaft durchaus etwas Romantisches, aber die pechschwarze stinkende Pfütze auf der rechten Seite ist dann schon wieder weniger romantisch als vielmehr realistisch...

27.01.2008

Dancing Queens

Wir sprudeln vor Energie und es geht uns blendend! Was tut man also in solch einer Situation? Richtig. Tanzen. Tanzen bis die Füße weh tun, wir zu jedem Lied schon fünfmal getanzt haben oder der Herd, das Teehaus oder das Hamam ruft. Auf jeden Fall ist es großartig. Wie schön, dass in Baku alle CDs nur 3 Manat kosten, wir eine so tolle Stereoanlage im Zimmer haben und auch über eine ausreichend große Tanzfläche verfügen.
Seit zwei Tagen weilt meine Tanzpartnerin Corinne allerdings wieder in der Schweiz, was eine gemeinsame Tanzeinheit erschwert. Unsere drei ASA-Monate sind rum und den vierten werde ich jetzt alleine bestreiten. Corinne, eine bessere ASA-(nicht-)Projektpartnerin hätte ich mir nicht wünschen können und uns als Dreamteam kann sowieso niemand jemals toppen. Never forget: dancing queen, dancing queen....:-).

26.01.2008

Erdöl-Friedhöfe


gleich hinter den Häusern: eine Erdölförderungs-Mondlandschaft


Wir gehen spazieren, auf matschigem, öligem Boden, zwischen eingeschossigen Bauten, die mit hohen Mauern umzäunt sind und verrostete, teilweise bunt lackierte Blechtore als Eingang haben. Es ist ziemlich still, kein Motorenlärm, denn die nächste Hauptstraße ist einen halben Kilometer entfernt. Ab und zu nur holpert ein alter Lada oder ein Tanker die schmale Straße entlang. Es riecht nach Schwefel und aus irgendeiner Leitung zischt Gas. Wie riecht Öl? Riecht man das Öl? Frauen schauen uns von ihren kleinen fenstergroßen Geschäften aus hinterher. Einzelne Kinder, die vor den Hoftoren spielen, rufen aufgeregt in den Hof hinein, wenn wir vorbei laufen oder unsere Kameras auspacken. Mehr Frauen als im 2km entfernten Zentrum von Baku sind unterwegs. In ihren Hauskleidern und Hausschuhen laufen sie schnell zum Laden an der Ecke oder tragen das Enkelkind durch die Gegend. Wir sind in der Nähe des Erdöl Feldes Bibi Heybat oder neben dem Erdölfeld bei Balaxani. Das ist eigentlich egal, das Bild ist überall das Gleiche. Trostlose, verdreckte Mondlandschaften. Total heruntergekommene, marode Förderanlagen, die schon seit Jahren nicht mehr funktionieren und jeden der dort vorbeikommt an den Erdölboom in Aserbaidschan und die derzeitige Erdölwirtschaft erinnern. Zwischendrin wippt der ein oder andere Kopf (Pferdekopf-Pumpen) gemütlich auf und ab. Kinder laufen im Dreck zwischen den Förderanlagen und Ölpfützen. Nur zu den derzeit aktiven Erdölfeldern gibt es Begrenzungen. Dort läuft die Erdölfeld-Polizei auf und ab und kontrolliert, dass niemand unerlaubt eindringt und Fotos macht oder sich umschaut. Dort wo das Öl nur noch unzureichend oder gar nicht mehr blubbert, stehen die Häuser direkt neben den Gruben, dazwischen oder nicht weit davon entfernt. Wir können es fast nicht glauben, was wir da sehen. Corinne erzählt mir später, dass sie jedes Mal, wenn wir uns „Erdöl“ anschauen, fast heulen könnte und Till unterhält uns mit noch mehr zynischen Kommentaren als sonst. Kann man wirklich so weit gehen? Jegliche Umwelt- und Sozialstandards komplett ignorieren? Wenn man genügend Geld hat und nicht betroffen ist einfach darüber hinweg sehen? Übersehen, dass die Menschen, die dort leben und keine andere Wahl haben, tatsächlich Menschen sind und keine Maschinen, denen es egal ist, wenn man sie stehen lässt und nicht entsorgt, sobald sie nicht mehr gebraucht werden? Aserbaidschan – ein Land voller Gegensätze. Das habe ich ja schon oft festgestellt, nicht nur bezüglich des sozialen Gefälles innerhalb Bakus, das mich immer wieder in Staunen versetzt, sondern auch durch die riesigen Unterschiede zwischen Stadt und Land. Aber wie weit kann das gehen, wie weit kann eine Gesellschaft, eine Regierung, ein Land, die Missstände und Ungerechtigkeiten ignorieren? In Bibi Heybat, 2 km südlich vom Stadtzentrum fühlt man sich wie in einem Dorf, dabei gehört das Gebiet noch zu Baku und wenn man von dem besiedelten Erdölfeld wieder auf die Straße tritt, dann ist man auch sofort wieder in der Stadt, im Getümmel, im Verkehrschaos, unter Menschen. Ein aserbaidschanischer Freund meinte letztens, dass vor allem das Erdöl Aserbaidschan ins Unglück gestürzt hat, nicht nur die Regierung unter dem Aliyev-Klan. Das Erdöl bringt den einflussreichen Familien viel viel Geld und lässt den größten Teil der Gesellschaft zurück. Die Machthaber interessieren sich nicht besonders für ihr Volk, sondern versuchen nur nach außen hin das Bild vom umsorgten und nach Entwicklung und Fortschritt für alle Menschen strebendem Präsidenten zu wahren. Die Einnahmen aus dem Erdölgeschäft garantieren eine Aufrechterhaltung dieser Attitüde. Mit Geld kann man sich fast alles kaufen, das Schweigen der Menschen, Korruption, Repression und ein Sonnenschein-Lächeln gegenüber dem Rest der Welt. Traurig. Aber ganz ohne Hoffnung bin ich trotzdem nicht, denn solange mir immer noch ein Kind entgegenläuft, das lächelt, weiß ich wenigstens, dass auch in den Menschen, die dort leben der letzte Funken Hoffnung noch nicht gestorben ist.


20.01.2008

Feuerberge

Neben den Schlammvulkanen sind die Feuerberge die Touristenattraktion Nummer eins in und um Baku. Ein netter Fotostopp, denn hier tritt unterirdisches Erdgas an die Oberfläche und brennt munter vor sich hin.

Fotoshooting mit Tilman und Corinne...

13.01.2008

Baku und der Schnee

Vor einer Woche war es soweit: es schneite! Auf einmal, ganz plötzlich ohne große Vorankündigung und mehr als 20 cm auf einmal. Der Winter platzte plötzlich so in unser Leben und hat uns zu unserer Freude bisher mehr Annehmlichkeiten als Unannehmlichkeiten bereitet. Zunächst einmal verursachte der Schnee ein ziemlich heftiges Verkehrschaos. Manche Autos und Martschrutkas zogen geistesgegenwärtig Schneeketten auf, die meisten anderen blieben mit ihren abgefahrenen Sommerreifen hoffnungslose Opfer der spiegelglatten, immer mehr zugeschneiten Straßen. Uns zog es dick eingepackt in Mütze, Schal, Handschuhe, Strumpfhosen und Wanderstiefeln wie viele andere, sich am Schnee erfreuende Aserbaidschaner, im Schneegestöber auf die Straße. Ein langer Schneespaziergang zum Richard Sorge Denkmal (das muss hier jetzt auch mal erwähnt werden, denn inzwischen sind wir dort schon fast Stammkunden; es handelt sich um das Denkmal von Richard Sorge, einem sowjetischen Nationalheld der während dem 2. WK Spion der Sowjetunion war, das uns vor allem aufgrund der Tatsache überzeugt, dass die Person nicht wie üblich als pathetische mit den Armen in den Himmel zeigende übergroße Figur dargestellt wird. Beim Richard Sorge Denkmal blicken dich, vor allem eindrucksvoll bei Dämmerung, zwei riesige, leuchtende Augen an, aus einem halben Gesicht mit angedeuteten Zügen heraus, fast schon unheimlich und durchdringend, aber sehr sehr cool!).
sogar den Spatzen ist kalt...


Richard Sorge

Auf dem Weg beobachteten wir nicht nur super viele im Schnee spazierenden Menschen, sondern vor allem auch klapprige Ladas und Gigolos, die mit durchdrehenden Reifen versuchten vorwärts zu kommen, oder bremsten und trotzdem verzweifelt weiter rutschten. Aber erstaunlicherweise passierte...gar nichts. Keine Massenkarambolagen oder angefahrene Passanten, zumindest soweit wir das in den drei Stunden auf den Straßen mitbekommen haben. Zwar musste an der einen oder anderen Stelle die Marschrutka den Berg hochgeschoben werden, oder das Taxi aus einem Schneehaufen befreit werden, aber ansonsten blieb alles katastrophenfrei.



Kalt ist es, seitdem sich Baku unter einer dicken weißen Decke aus feinem Pulverschnee befindet und unter Umständen gefriert das ein oder andere Wasserrohr dann auch mal, aber dagegen gibt es ja Hamams (Dampfbäder), die man bei gegebenem Anlass aufsuchen kann. Ansonsten ist mir vor allem Eines aufgefallen: Stille! Zunächst, weil Schnee Lärm ja sowieso schon dämpft, aber auch weil nicht mehr so viele Fahrzeuge die Straßen bevölkern. Man kann plötzlich entspannt die Straße überqueren und sogar auf der Straße spazieren. Mit Schnee gefällt mir Baku richtig gut, es sieht sehr hübsch aus, tagsüber in der Sonne und abends mit den vielen leuchtenden Lämpchen. Da sich der ganze Dreck und Müll ja nun unter einem Haufen Schnee befindet, ist es plötzlich auch ungewohnt sauber und ordentlich in Baku (das schätzt man doch als Deutscher ;-)) Nur die Metro ist jetzt noch voller als sonst sowieso schon, aber das nimmt man ja gerne in Kauf, wenn dafür das Drumherum stimmt.
Trotz guten Zuredens machte die Kälte nicht vor unserer Wohnungstür Halt. Das Thermometer steigt nur in seltenen Fällen über 13 Grad in meinem Zimmer und was wir hier machen, kann man vielleicht in die Kategorie „Abhärtungstraining“ einordnen. Zunächst bewohnen Corinne und ich nur noch mein Zimmer, denn ihres ist so eine Art Anbau und deswegen sind die Wände noch weniger isolierfähig als in meinem Zimmer. Es dient nur noch als Abstellraum und heißt „ der Kühlschrank“. Unsere Betten stehen neben dem Ofen, der Wärme aus Andrejs Zimmer abstrahlt und unter unseren vielen warmen Decken bzw. bekleidet mit mehreren Schichten Pullovern, dicken Socken und Schals trotzen wir den Temperaturen. Außerdem laden wir uns oft netten Besuch ein, um die Anzahl an Körpern im Raum zu erhöhen und damit auch mehr Wärme zu produzieren. Manchmal reicht aber auch schon Tanzen (da wird einem warm), eine von Corinne und mir häufig praktizierte Tätigkeit, unser Besuch bleibt da eher zurückhaltend...
unser Wärmelager ist so gemütlich wie es aussieht :-)
Und während ich das hier schreibe, sind meine Finger und Füße auch schon wieder fast eingefroren, vielleicht sollte ich gleich mal eine Tanzrunde einlegen oder zum Aufwärmen heute mal wieder ins Hamam gehen.

10.01.2008

Romantik am Strand...


Ob das nun romantisch ist?! Egal, Michi & Corinne scheinen sich wohl zu fühlen...

Schlammvulkane