20.11.2007

Heiraten auf Aserbaidschanisch

in der Küche beim Fleisch zerrupfen


der Stier...




als Beweis ich war da und auch tanzen...


der Geldeintreiber



Nargiz bringt selbst die Braut zum Schmunzeln

abends im Partyraum beim Tanzen

1 Braut
1 Bräutigam
2 Tage
2 Brautkleider
2 Trauzeugen
4 Ringe (1 für den Bräutigam, 3 für die Braut)
min. 300 Gäste
1 Hochzeitsauto
viele Autos um die Anderen zu transportieren
1 geschlachteter Stier
9 geschlachtete Schafe
zu viel Essen
immer wieder tanzen
ab 7:30 Uhr Musik: 1 Trommel, 2 trötenartige Blasinstrumente
2 Männer die einen Film drehen
uvm....

Mmmhh, wo fängt man an wenn man von einer aserbaidschanischen Hochzeit erzählen möchte. Vielleicht bei den Einladungen. Die mehr als 300 Gäste werden etwa ein oder zwei Tage vorher eingeladen, was aber trotzdem nicht zu Terminengpässen oder Ähnlichem führt, denn eigentlich weiß sowieso jeder schon vorher, dass es eine Hochzeit gibt und dass man eingeladen ist, also die Einladung ist daher mehr Formsache und wird deswegen auch manchmal erst am Tag der Hochzeit ausgetragen, Hauptsache der Gast bekommt sie überhaupt. Da es kein richtiges Postwesen gibt laufen ein paar Nachbarsjungen zwei Tage lang durchs Dorf und verteilen die Einladungen.
Eine aserbaidschanische Hochzeit findet an zwei Tagen statt, bei der Hochzeit auf der ich war ab jeweils 14 Uhr. Am ersten Tag im Haus des Mädchens und am zweiten Tag im Haus des Mannes.
Einen Tag vor der Hochzeit kauft die Mutter vom Bräutigam zusammen mit der Braut die 2 Hochzeitskleider, eines für Tag eins (rot) und eines für Tag zwei (weiß). Parallel wird im Haus des Bräutigams ein Zimmer für die neue Familie eingerichtet. Tanten und Cousinen des Mädchens kommen und bringen eine Schrankwand und ein Ehebett. Wenn das aufgebaut ist kommen sie noch einmal und bringen Teppiche, Gardinen, Gardinenstangen, Decken, Handtücher, Bettwäsche, (Kopf-)Kissen, Geschirr, eine Barbiepuppe, eine Lampe, zwei Eimer zum Wasserholen, eine Schüssel und Plastikblumen. Nach etwa zwei Stunden ist alles fertig eingeräumt und dem Besucher springt der Kitsch in jedem Winkel entgegen, aber insgesamt ist das Zimmer in sich hübsch und stimmig. Auch Angehörige des Bräutigams fahren mit einem Kleinlaster voll Getränken, Essen, einer Kuh und einem Schaf zum Haus des Mädchens. Man beschenkt sich also gegenseitig.
Den Abend vor der Feier im Mädchenhaus bzw. zwei Abende vor der Feier im Haus des Mannes fängt man an die Gerichte für 300 Leute zu kochen. Mehr oder weniger alle Frauen aus der näheren Verwandtschaft und Nachbarschaft versammeln sich in der neun Quadratmeter großen Küche. Zuerst wird aus einem Eimer Mehl, zwanzig Eiern, kiloweise Zucker und Butter ein Teig für „Tort“ hergestellt (Tort ist eine Art Kuchen, bei dem mehrere dünne Biskuitböden geschichtet werden zwischen denen eine dünne Schicht Sahne ist – Kalorienbombe!). 15 Böden werden gebacken und dann fangen wir an einen Eimer Sahne vom flüssigen in festen Zustand zu verwandeln. Leider gibt nach einer Minute das Handrührgerät seinen Geist auf und es scheint niemand Ersatz zu haben. Deswegen schlagen wir abwechselnd die Sahne mit dem Schneebesen bis uns die Arme abfallen, aber irgendwie hat es am Ende doch geklappt.
Den ganzen folgenden Tag über, d.h. an dem die Hochzeit im Haus des Mädchens ist wird nur geschnibbelt, gekocht, gebacken und frittiert. Am Ende gibt es haufenweise zu Essen: Hühnchen, Schaf, Rind, Fisch, Salate (mit Majonäse angerührtes Gemüse mit Fleisch und in kleine Fäden gerupftes Rindfleisch mit Walnüssen und Majonäse), Blinchis (frittierte Teigtaschen mit Rinderhackfleisch gefüllt) Dolma, Kebab, Obst, Brot, Käse, immer wieder neues Fleisch vom Grill oder aus dem Topf, Studentenfutter. Insgesamt wird auf der Hochzeit so viel Essen produziert, dass am Ende viele Verwandte und Nachbarn noch mehr als zwei Tage von den Resten satt werden. Aber hier kocht man grundsätzlich viel zu viel, denn die Teller und Tische dürfen nie leer gegessen sein, das wäre ein schlechtes Zeichen, nämlich zu wenig Essen.
Ab halb acht am ersten Hochzeitstag wird alles Geschehen permanent von einer dreiköpfigen Musikantentruppe begleitet: eine Trommel und zwei trötenartige Blasinstrumente. Die drei Männer kommen, beziehen einen Tisch mitten im Hof und spielen (für meine Ohren ziemlich ohrenbetäubende Tanz-) Musik, immer wieder, vor allem wenn jemand neues kommt oder wenn der Tag beginnt, wenn es Essen gibt, wenn der Tag zu Ende geht, wann auch immer, sie spielen ständig, so laut, dass man sich kaum noch unterhalten kann. Wenn sie nicht spielen, dann rauchen sie ihre Zigaretten und unterhalten sich mit den vorbeilaufenden Männern. Sobald die Musikanten kommen, läuft auch ein junger Mann mit geschulterter Kamera herum. Er filmt alles, vor allem aber natürlich dann die Braut bzw. das Brautpaar wie sie tanzen und essen, aber auch die Gäste, die tanzen und mich. Ich denke auf etwa 50% des Filmmaterials bin ich zu sehen, wie ich einfach nur dastehe, wie ich tanze, wie ich Brot zerschneide, wie ich mit den Kindern spiele, wie ich fotografiere, wie ich mir alles neugierig ansehe, wie ich Blinchis rolle, wie ich Essen auf Teller lade, wie ich unter den anderen Gästen sitze, wie ich esse, usw…. Nach dem ersten Tag mussten alle (inklusive mir und dem Filmer) schon grinsen, wenn er wieder mal seine Kamera schulterte und mich fokussierte.
Ab etwa zehn Uhr kommen ständig Gäste, die Frauen gehen ins Haus und die Männer bleiben draußen. Das ist hier eine ganz natürliche Trennung und überhaupt nicht ungewöhnlich oder verkrampft. Während die Mutter, Tanten und Nachbarinnen weiter kochen, warten die Gäste darauf, dass es halb zwei Uhr wird, denn dann zwängen sich alle etwa 50 Menschen (bis auf die Mutter des Bräutigams, die bleibt zuhause und behält den Lauf der Hochzeitsvorbereitungen im Auge) in etwa sechs Autos und es geht mit wildem Gehupe durchs Dorf. Auch das wird übrigens gefilmt, der Kameramann sitzt bei uns im offenen Kofferraum und filmt die ganze Zeit, das Hochzeitsauto mit dem Bräutigam, das hinter uns fährt. Ich bezweifle aber, dass man in diesem Filmabschnitt überhaupt etwas erkennt, denn wegen der vielen Schlaglöcher und der total holprigen Straße, muss eigentlich alles total verwackelt sein.
Am Haus des Mädchens angekommen, spielen die Musikanten schon aus Leibeskräften und einige Frauen fangen an zu tanzen. Es sind etwa zweihundert andere Gäste dort und als der Bräutigam ins Haus geführt wird, wollen alle Frauen hinterher. Ein ziemliches Gedränge folgt, denn jeder scheint sehen zu wollen wie das Brautpaar in einer Ecke fotografiert wird. Nach einer Viertelstunde treibt die Menschen dann aber doch der Hunger wieder nach draußen und es gibt das nächste Gedrängel, um einen guten Platz an einem der vielen Tische zu ergattern. Hier sitzen auch wieder Frauen und Männer getrennt. Die Tische sind schon vorher gedeckt, nur mit dem Unterschied, dass auf den Tischen für die Männer noch Vodkaflaschen und Weinkaraffen stehen. Ich sitze am Tisch mit ein paar Tanten von Mehrab und ein paar kleinen Kindern und Mädchen, die ich nicht kenne. Alle schauen mich die ganze Zeit an und irgendwann merke ich, dass egal wohin ich blicke, überall vor allem junge Mädchen, Frauen und junge Männer mich ansehen – na ja ich war (bzw. bin ;-)) eben eine ziemliche Attraktion.
Zu essen gibt es genau das Gleiche, was es auch am nächsten Tag geben soll (siehe oben). Ich bin neben dem essen bzw. damit meinen Teller zu leeren, auf den ständig von einer anderen Tante etwas draufgeladen wird, auch damit beschäftigt, Fischgräten, Fleischbrocken und Majonäse von meiner Kleidung zu wischen (ich habe ja schließlich nur ein „schickeres“ Outfit und das muss noch eine Weile halten), denn neben mir sitzt Tural (6 Jahre), der eigentlich immer mit seinem ganzen Körper auf dem überfüllten Tisch (da immer mehr Teller mit Fleisch kommen wird bald gestapelt) liegt und mir das was auf dem Wachstuch liegt in den Schoß wischt. Das ist ziemlich viel, denn Aserbaidschaner essen grundsätzlich viel auf kleinem Raum und mit den Fingern und da fällt schon mal was runter. Begleitend zum Essen erzählt eine laute Stimme durch ein Mikrofon was es Interessantes über die beiden Familien zu berichten gibt, aber das verstehe ich natürlich nicht, ist ja auf Aserbaidschanisch. In den Sprechpausen ertönt aserbaidschanische Technomusik (es fühlt sich ein bisschen wie auf einem Volksfest an). Die Braut isst übrigens gar nichts, sie sitzt mehr oder weniger reglos da und starrt geradeaus, aber wenn sie sich dann doch mal vorsichtig umsieht und sich unsere Blicke zufällig treffen, dann lächelt sie leise zurück ;-).
Nach dem Essen wird es voll um unseren Tisch herum und alle Frauen und Kinder versammeln sich um mich und betrachten mich neugierig. Dann stehe ich auf und ein mutiges Mädchen ergreift die Initiative und sagt dem Fotografen er solle uns fotografieren. Jetzt ist keiner mehr gehemmt und ein relativ langes Fotoshooting mit fast allen Mädchen und Frauen einzeln beginnt. Irgendwann zerrt mich eine Tante weg und es geht weiter in ein Zelt zum Tanzen. Während immer etwa 10 Leute im Kreis tanzen, werfen Männer, die außen herum stehen Geld auf die Tanzenden, das ein kleiner Junge emsig einsammelt. Nach etwa einer dreiviertel Stunde ist die Tanzshow vorbei und die Familie des Bräutigams und der Bräutigam quetschen sich wieder in die kleinen wenigen Autos und fahren zurück ins Haus des Bräutigams.
Dort angekommen wird weiter vorbereitet, gekocht und vor allem auch geschlachtet. Ich bin zwar nicht auf ein derartiges Abschlachten eingestellt, aber ja schon halbwegs abgehärtet, nachdem es mit Schafen und Hähnen schon ein paar Tage vorher zu Ende ging. Ein großer und ein kleiner Cousin nehmen sich im Laufe des Nachmittags etwa sechs Schafen an und zehn weitere Männer kümmern sich um den Stier aus dem Garten, zerren ihn an seinen Hörnern in den Hof, neben die Feuerstelle und los gehts im Gewusel der kochenden Frauen und spielenden Kinder.
Abends fahren noch einmal ein paar Verwandte und der Bräutigam zum Haus der Braut, tanzen dort etwa ein bis zwei Stunden und kommen wieder zurück. Die halbe Nacht wird weiter gekocht und ich habe das Vergnügen in dem Zimmer zu schlafen, das als Aufbewahrungsort für jegliches Essen dient, das heißt neben meinem Bett liegen jetzt ein paar Schafsbeine, hunderte Blinchis, Brote und Obst.
Am nächsten Morgen werde ich durch die drei nie müde werdenden Musikanten geweckt. Der Kameramann ist auch schon da und außerdem sitzt noch ein weiterer Mann an einem Tisch neben dem Tor. Seine Aufgabe ist es genau zu notieren, welcher Gast wieviel Geld mitbringt, denn darauf kommt es bei aserbaidschanischen Hochzeiten an – wieviel du bezahlst. Auf dem Land handelt es sich um kleine Beträge ab zehn Manat (etwa acht Euro) und es ist nicht so zwingend notwendig, dass wirklich jeder bezahlt, aber in Baku kann man wohl auf keine Hochzeit gehen, wenn man nicht mindestens 50 Manat bezahlt. Das Geld wird dafür verwendet die Ausgaben der Hochzeit zu decken, was aber den wenigstens gelingt. Mehrabs Familie legt darauf allerdings, nach dem was ich mitbekommen habe nicht so viel Wert, sie können sich die Hochzeit leisten und es darf auch jeder kommen, der nichts bezahlt.
Wieder kommen viele Gäste und diesmal geht es mit den Autos gegen 13 Uhr los – die Braut abholen. Mit wildem Gehupe kommen wir an und fangen zunächst an zu tanzen. Während draußen getanzt wird, führt, umringt von Frauen und Kindern, der Bräutigam die Braut aus dem Haus und sie fügen sich in die Tanzreihen ein. Nachdem eine Weile so getanzt wurde, steigen wir nun zusammen mit der Braut wieder in die Autos und fahren zurück ins Haus des Bräutigams. Dort angekommen wird zuerst erneut ein Tanz angestimmt, dann feuert der Trauzeuge drei Schüsse in die Luft, vor den Füßen des Brautpaares wird einem Schaf die Kehle durchgeschnitten und eine Tante taucht ihren Finger in das Blut, das auf die Erde rinnt und malt dem Brautpaar jeweils einen Punkt auf die Schuhe. Es geht weiter ins Haus hinein wo die Braut in ihrem neuen Zimmer (das ja schon vorher eingerichtet wurde) Platz nimmt und zusammen mit ein paar anderen Frauen u.a. ihrer Trauzeugin essen wird. Nachdem sich die Zimmertür schließt verlassen alle anderen mehr oder weniger fluchtartig das Haus und nehmen an den wieder reichhaltig gedeckten Tischen ihren Platz ein und fangen an zu essen. Das Essen zieht sich ziemlich in die Länge, alle scheinen ausgelassen, zufrieden und satt. Danach gehen viele Gäste v.a. Frauen nach Hause und es bleibt der Kern, der immer da ist zurück und einige Männer. Während alles freundlich scheint, die Frauen anfangen abzuwaschen, die Kinder jauchzend und kreischend durch die Gegend laufen und sich aus Holzbrettern und Metallgestängen Wippen bauen, wird es plötzlich laut – eine Schlägerei beginnt. So was gehört hier angeblich zu jeder guten Hochzeit dazu und ist das Resultat des übertriebenen Vodkakonsums der Männer. Ich habe keine Frau gesehen, die Vodka getrunken hat, nur Männer und die im Überfluß. Nachdem sich zwei junge Männer unter viel Geschrei der Anderen, viel Gerenne durch die Mengen und Tränen ihrer Frauen die Nasen ein bisschen blutig geschlagen haben, werden die Streithähne auseinander gerissen und verschwinden für die nächsten Stunden von der Bildfläche. Abends ist alles wieder vergessen, als ob nie etwas passiert wäre.
Ein richtiges Abendessen gibt es nicht. Man ist entweder noch satt vom Mittagessen oder man nimmt sich irgendwo aus den vielen vollen Töpfen, Schüsseln oder Tellern, die überall herumstehen etwas zu essen.
Während des ganzen weiteren Tages verlässt die Braut nicht einmal das Zimmer. Sie sitzt dort, isst ein bisschen und unterhält sich mit ihren Tanten und Cousinen.
So gegen neun Uhr abends wird es dann noch einmal spannend. Von der Straße kommt begleitet von Musik, von sieben Männern mit Kerzen in der Hand und von vielen anderen Männern und ein paar Frauen der Bräutigam zum Haus. Die Braut wird gleichzeitig aus dem Haus geführt. Beide werden vor der Tür zusammengebracht, die Braut zertritt einen Porzellanteller und beide gehen dann mit bedächtigen Schritten um eine glühende Eisenstange. Danach führt die Braut den Bräutigam in das gemeinsame Zimmer. Dort bleiben sie aber nur ein paar Minuten, denn schon geht es weiter nach unten in den Partyraum. Dort warten aserbaidschanische Tanzmusik, in Reihen hintereinander sitzende Frauen und Kinder und in der anderen Ecke stehende Männer auf sie. Sie werden in den Raum geführt und nehmen auf einem an der Wand stehenden kleinen Podest an einem gedeckten Tisch zusammen mit ihren Trauzeugen Platz. Während der nächsten zwei Stunden stehen sie alle zehn Minuten auf, gehen fünf Minuten zum Tanzen in den Kreis der anderen Tanzenden und setzen sich wieder hin. Zum Abschluss der Hochzeit gibt es noch eine Hochzeitstorte, die Braut und Bräutigam zusammen anschneiden und von der die Braut dann dem Bräutigam ein Stückchen in den Mund schiebt. Abschließend stoßen sie mit ihren Trauzeugen mit Sekt an und verlassen tanzend und tanzend begleitet von allen noch anwesenden Gästen den Raum. Die Hochzeit ist vorbei. Die Frauen gehen sehr schnell nach Hause, die Männer lassen sich ein bisschen mehr Zeit. Die Braut geht wieder in ihr Zimmer und ist dann bis zum nächsten Morgen nicht mehr zu sehen. Der Bräutigam sitzt die ganze Nacht mit seinen Freunden zusammen. Sie feiern bis früh um sechs und wohl so laut, dass ich für diese eine Nacht auch ins Nachbarhaus umziehen muss.
Nach der Hochzeit ist die Stimmung ziemlich entspannt. Alle scheinen glücklich über das neu verheiratete Paar, darüber, dass alles geklappt hat, das Essen gereicht hat und dass jetzt alles vorbei ist.
Ja, das war die Hochzeit, man sieht eine etwas umfangreichere Angelegenheit. Für mich sehr spannend, schön, lustig und aufschlussreich, aber eines weiß ich jetzt auch ziemlich sicher: Aserbaidschanisch heiraten will ich nicht!

19.11.2007

Die kleine Umweltpolizei





das junge, super nette Team bei AOS ;-)


Am Wochenende hatte ich das Vergnügen die Umweltpolizei kennenzulernen. Es handelt sich hierbei um zwei Mädchen und sechs Jungs im Alter von 12 und 13 Jahren. Ins Leben gerufen, um die Brisanz der Umweltprobleme in Aserbaidschan stärker zu betonen und um Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu erregen. Lustig, finde ich, die Kinder in solche Uniformen zu stecken. Diese haben die Uniform mit Stolz getragen und wollen später alle mal Ökologen werden. Ein wichtiger Teil der Arbeit von AOS als größte UmweltNGO ist es natürlich Umweltbildung zu betreiben und die Menschen auf Umweltproblematiken in ihren Dörfern zu sensibilisieren und Fachwissen über Vögel deren Lebensräume und Ökosysteme zu vermitteln. Dazu veranstalten sie gelegentliche Trainings am Wochenende, vor allem mit Schulkindern und LehrerInnen.

Ein Tag aus Woche 2 bzw. 3

Im Zug

ein Blick auf die Straße ( 4 Tage ohne Regen)

Das Haus, im Vordergrund die Feuerstelle zum Kochen

Schafe im "Badezimmer"



meine kleinen süßen besten Freunde ;-)

Das Bett ist weich und schön warm. Meine Decke ist gefüllt mit Schafswolle. Diese braucht zwar ein bisschen länger bis es warm wird, aber dann wird die Wärme auch umso intensiver gespeichert und man fühlt sich eben als hätte man selbst ein dickes Schafsfell. Irgendwo kräht ein Hahn und ab und zu hört man jemanden etwas in den Tag hinein rufen. Durch die Gardine sehe ich strahlend blauen Himmel und erahne die Sonne, na da lohnt es sich doch mal aufzustehen, auch wenn das ein wenig Überwindung kostet, denn im Zimmer sind es etwa sieben Grad oder kälter. Beim Anziehen kann ich meinen Atem sehen. Schnell raus in den Hof Zähne putzen und Gesicht waschen, dann kann der Tag beginnen. Ihr fragt euch sicher wieso es plötzlich so kalt bei mir ist und warum ich bei dieser Kälte dann zum Waschen auch noch raus gehe. Ich befinde mich zur Zeit für eine Woche am anderen Ende von Aserbaidschan in der Nähe von Armenien und an der Grenze zu Georgien in der Region Kasakh in der 3000 Seelengemeinde Sadihli. Mehrab, der bei AOS arbeitet hat mich gefragt ob ich auf die Hochzeit seines Bruders mitkommen möchte und da habe ich natürlich keine Sekunde gezögert. Hier gibt es kein bzw. nur in einzelnen Fällen fließendes Wasser. In jedem Hof steht ein Brunnen und man pumpt das Wasser per Hand in Eimern täglich 15 Meter nach oben. Seit dem Zerfall der Sowjetunion werden die Häuser auch nicht mehr mit Gas versorgt, das heißt die meisten Menschen heizen in kleinen Öfen mit Holz oder schließen kleine elektrische Heizplatten an. Das Haus in dem ich mich befinde ist relativ neu erbaut worden und deswegen gibt es noch keinen Ofen bzw. auch noch nicht so etwas was man Bad nennen könnte. Draußen auf einem kleinen Tisch steht ein Eimer mit einem Hahn am unteren Ende, daneben liegt ein Stück Seife – das ist das „Bad“. Wenn man sich mit dem ein paar Grad kaltem Wasser morgens das Gesicht wäscht ist einem auf jeden Fall nicht mehr kalt – für einen kurzen Moment und der Kopf dampft dann richtig in der Sonne.
Schnell in die Küche zum Frühstücken, das ist der wärmste und kleinste Raum im ganzen Haus, denn es gibt eine elektrische Heizplatte und einen kleinen Gaskocher zum Heißen und zum Kochen. Mehrabs Mutter hat wie alle drei oder vier Tage Brot gebacken. Es duftet herrlich! Dazu gibt es Butter, super leckere Kirsch- und Quittenmarmelade (natürlich auch selbst gemacht), typisch aserbaidschanischen Salzkäse und natürlich Chai (schwarzer Tee, den es als mehr oder weniger einziges Getränk immer gibt), den der Aserbaidschaner mit etwa vier Löffeln Zucker trinkt. Während ich esse, kommt ständig jemand neues in die Küche - Tanten, Onkels, Cousins, Nachbarn, wer auch immer - alle reden ununterbrochen und gleichzeitig. Nach dem Frühstück spaziere ich durch den Hof und genieße das schöne Wetter. Es ist November und damit Regenzeit, was bedeutet, dass es gelegentlich regnen kann. Vor drei Tagen hatte es zum letzten Mal geregnet und das was davon übrig geblieben ist, ist überall – Schlamm und Matschpfützen. In Sadihli und wohl auch in den umliegenden Gemeinden gibt es keine befestigten Straßen. Das ist klimatisch betrachtet den größten Teil des Jahres auch kein Problem, denn es ist sehr trocken und warm. Wenn es dann aber regnet verwandelt sich alles in eine Schlammwüste. Wenn man nur die Straße sieht, in die Höfe schaut und die vielen Kinder, die hier mit dreckigen Schuhen, Hosen und kaputten Pullovern spielen, könnte man meinen man befindet sich in einer Slumsiedlung oder zumindest in einer Gegend wo die Menschen sehr arm sind. Das ist allerdings überhaupt nicht der Fall. Natürlich leben hier nicht unbedingt Millionäre, aber wenn man sich manche Häuser von außen und besonders von innen ansieht, dann merkt man doch, dass hier Geld im Umlauf sein muss. Und wenn man draußen im Matsch spielt, dann zieht man sich natürlich nicht unbedingt seine schönsten Kleider an. Wegen dem schönen Wetter wäscht Mehrana, eine Cousine von Mehrab, die im Nachbarhaus wohnt heute Wäsche, kiloweise und per Hand, denn sie hat zwar nur ein Kind, aber weil es nicht in jedem Ort eine Schule gibt, wohnen noch vier oder mehr andere Kinder (Nichten, Neffen, andere Cousinen oder Cousins) mit im Haus. Neben einem riesigen Holzhaufen an einer Feuerstelle wird Wasser zum Waschen erhitzt und dann schubbert sie stundenlang Jeans, Pullis und zerlöcherte Strumpfhosen und das alles im Rauch des Feuers. Parallel wird alles für die in zwei Tagen anstehende Hochzeit vorbereitet. Da das Haus noch nicht ganz fertig ist, wird hier noch ein bisschen gemalert und dort werden Lampen angebracht. Außerdem bauen zwei Cousins eine Schrankwand und ein Ehebett auf, denn es ist Brauch, dass man ein Zimmer für das frischgebackene Ehepaar vorher einrichtet und hübsch dekoriert, sozusagen als Nest für die neue Familie. Andere Tanten und Cousins sind da und jeder scheint beschäftigt zu sein. Die einen quatschen, die anderen schrauben irgendwas zusammen oder sie stehen, so wie ich, im Hof herum und schauen sich das Geschehen an. Plötzlich wird es aufgeregter – ein Schaf soll geschlachtet werden, denn heute soll es Dolma geben, ein aserbaidschanisches Gericht aus Schafshackfleisch gemischt mit Zwiebeln, viel Fett, etwas Reis und Kräutern in Kohlblätter gewickelt. Von den Anwesenden möchte sich aber keiner dieser Aufgabe annehmen und deswegen muss der Cousin von nebenan kommen. Er packt ein Schaf aus der Herde (10 bzw. jetzt nur noch 9 Schafe) und zieht es an den Hinterbeinen zu einem Baum. Ohne Umstände schneidet er dem Tier die Kehle durch, bricht ihm das Genick und ich stehe mit Tränen in den Augen und vor Schock ganz starr daneben. Kopf und Füße ab und dann wird dem Schaf, das inzwischen kopfüber an einem Baum hängt das Fell abgezogen. Es wird bäuchlings aufgeschnitten und die Eingweide werden herausgenommen. Die Gedärme kriegt der Hund, was mit dem Magen passiert ist weiß ich nicht aber die restlichen Innereien werden aufgehoben. Schon fertig und der Cousin schleppt das Schaf in die Küche. Auf dem Küchentisch wird es nun zerhackt und ein Teil des Fleisches kommt zusammen mit Zwiebeln in den Fleischwolf. Bei meinem entsetzten aber auch neugierigem Blick meint Mehrab nur: „So ist das Leben! Die Schafe sind nur hier um nach ein oder zwei Jahren gegessen zu werden.“
Um mich ein bisschen von dem Schock zu erholen gehe ich im Garten spazieren und esse Kaki. Der Garten besteht eigentlich nur aus Kakibäumen und die hängen zu dieser Jahreszeit in vollen Früchten an den Bäumen. Wie die Schafe, die versuchen sich die unteren abzureißen oder die Hähne, die manchmal auf einen Ast flattern und in einer Kaki herumstochern, suche ich mir von den Hunderten (es gibt circa fünf Bäume) die Schönsten aus. Aaaaahh! Ich mache vor Schreck einen Satz nach vorne, denn mir ist gerade etwas ziemlich großes von hinten ans Bein gesprungen. Ich drehe mich um und sehe den Täter – der Hahn, der mich (und ich habe den Eindruck nur mich) aus unerfindlichen Gründen nicht mag. Ich denke er hat zuviel Testosteron im Blut, denn er ist nicht nur aggressiv und jagt mir jedes Mal hinterher, wenn ich mich in seiner Nähe befinde und nicht stocksteif dastehe, denn dann denkt er ich wäre ein Baum, sondern kräht auch ununterbrochen und stolziert eingebildet durch die Gegend.
Während ich so herumlaufe erinnere ich mich an die Fahrt von Baku nach Sadihli. die Zugfahrt mit der dritten Klasse für drei Manat (umgerechnet 2,40€). Die Strecke von Baku nach Sadihli (etwa 500 km, einmal quer durch Aserbaidschan) legt man am besten mit dem Zug zurück, die fahren hier immer nachts, was durchaus sinnvoll ist, denn wir waren insgesamt fast 13 Stunden unterwegs. In einem Großraumwagen mit 54 Pritschen aber mindestens 60 Menschen hatte ich ein Bett quer zum Gang und unten ergattert. Wider Erwarten konnte ich ziemlich gut und viel schlafen, denn der Zug schaukelt einen in den Schlaf und man wacht nur gelegentlich durch die Schnarchlaute der Mitreisenden oder bei einer Haltestelle auf, denn dann schlurft der Schaffner jedes Mal durchs Abteil, ruft hier und dort etwas Unverständliches, der Zug steht wahlweise eine Viertelstunde oder aber es geht nach fünf Minuten weiter. Man bekommt eine Matratze ein Kopfkissen und frische Bettwäsche, d.h. man kann es sich durchaus gemütlich machen. Nur den Gang zur Toilette sollte man vermeiden (na ja bei 13 Stunden Zugfahrt?), denn dann tastet man sich in dem schaukelnden Zug den engen Gang entlang, links und rechts entweder Füße oder Köpfe und versucht den Gestank zu ignorieren. Pro Nische gibt es je 2 Betten übereinander quer zum Gang und 2 Betten übereinander längs zum Gang. Über den Betten gibt es noch eine Ablage für Gepäck bzw. die Matratzen, also ein Brett dicht unter dem Dach, dass eigentlich nicht zum Schlafen gedacht ist. Aber auch in Aserbaidschan gibt es Schwarzfahrer. Die entschließen sich kurzfristig noch mitzufahren, bekommen aber kein Ticket mehr, da alles ausgebucht ist. Also zahlen sie dem Schaffner unter der Hand den doppelten Preis und der lässt sie dafür noch mitfahren. Diese Schwarzfahrer legen sich dann auf Decken auf die Gepäckablage, auch eine Möglichkeit zu reisen. Im Zug konnte man die Fenster nicht öffnen, was ich am Anfang noch für unerträglich gehalten hatte, was ich nach der Fahrt aber nicht mehr zu schlimm finde, denn obwohl die ganze Nacht die Heizung läuft und es am Anfang bevor der Zug losgefahren ist sehr heiß ist, merkt man dann beim Schlafen, dass die Fenster eben doch nicht ganz dicht sind und ständig kalte, frische Luft reinkommt. Früh nach dem Aufwachen so gegen acht Uhr laufen immer wieder ältere Damen durch den Waggon und versuchen „Cola, Fanta, Sprite, Snickers!“ zu verkaufen. Ich glaube nicht, dass viele Leute etwas kaufen, denn die Menschen scheinen sich ihr eigenes Essen mitzunehmen zumindest in meinem Waggon roch es eigentlich immer nach Wurstbrot. Angekommen am Bahnhof von Böyük-Kasik, geht es weiter mit dem Taxi, das ein georgisches Kennzeichen hat, der Fahrer aber eindeutig Aserbaidschaner ist. Und es ist nicht das einzige Auto, das am Bahnhof mit georgischem Kennzeichen steht. Der Grund dafür liegt darin, dass sich hier viele Aserbaidschaner ein gebrauchtes Auto in Georgien kaufen und das Kennzeichen dran lassen, denn dann kommen sie immer wieder problemlos über die aserbaidschanisch-georgische Grenze – auch eine Möglichkeit.
Ich gehe zurück in den Hof. Mehrana wäscht immer noch an der Feuerstelle ihre Wäsche, die Kinder Nargiz, Tural, Melek und Turchan jagen sich gegenseitig durch den Matsch, Mehrabs Mutter kocht mit einer Tante in der Küche und Cousins und Nachbarn streichen den „Partyraum“ für die Hochzeit. Dann ist das Essen so langsam fertig und die Männer nehmen draußen auf der Veranda Platz. Die Frauen essen getrennt in der Küche, aber ehrlich gesagt kann ich das gut verstehen, denn unter den Frauen ist es viel lustiger als wenn man bei den Männern sitzen müsste. Alle kommen und gehen mehr oder weniger wann sie wollen, aber bevor nicht jeder nach dem Essen ein oder zwei Gläser Chai mit ordentlich viel Zucker hatte, verlässt niemand den Tisch. Nachmittags wird eine Kuh gebracht und an den nächsten Baum gebunden. Sie ist ein Geschenk für die Familie der Braut, aber alle meckern nur herum, weil sie zu mager ist und außerdem die falsche Farbe hat. Deswegen wird sie nach ein paar Stunden wieder abgeholt und soll ausgetauscht werden.
Abends nach Sonnenuntergang ist es so kalt, dass ich ins Nachbarhaus gehe und mich dort am Holzofen aufwärme. Mit mir sind noch viele anderen Tanten, Onkels, Cousins und Kinder im Raum, reden wie immer viel und trinken Chai. Im Hintergrund läuft ein Hochzeitsvideo, das man sich im Übrigen jeden Abend ansieht. Bei jeder Hochzeit wird gefilmt und kaum geschnitten, deswegen hat man dann am Ende stundenlanges Filmmaterial und damit eine ständig gesicherte Abendbeschäftigung. Eine Tante vermutet, dass die 3-jährige Nargiz Läuse hat, deswegen wird ihr Kopf mit einem Insektenvernichtungsmittel eingesprüht – sicher ist sicher. Im ganzen Zimmer stinkt es schon nach Pestiziden, dann bekommt Nargiz ein Tuch auf den Kopf und läuft 10 Minuten bis zum Baden lachend und kreischend durch den Raum. Abschließend kommt sie in eine Waschschüssel neben den Ofen und wird gebadet. Die Haare werden kopfüber auf ein weißes Unterhemd ausgekämmt, aber keine von den fünf Frauen, die sich darüber beugen kann eine Laus entdecken - zu meiner Freude, denn ich hatte mir vor Schreck auch schon eingebildet mein Kopf juckt. Inzwischen ist es nach elf Uhr und ich bin anscheinend die einzige, die müde ist. Die Kinder sind fast alle noch wach und ich bewundere diejenigen die schon schlafen, denn da ja nur ein Raum beheizt wird ist es auch nur dort warm und die Kinder schlafen tief und fest in den zwei Betten, die im „Wohnzimmer“ stehen trotz des lärmenden Fernsehers und dem ununterbrochenem Gequatsche von den Anderen. Ich laufe durch die eiskalte Nacht rüber ins andere Haus und möchte mir noch schnell draußen die Zähne putzen. Etwas ziemlich besonderes hier, denn ich bin neben Mehrab, die einzige, die sich regelmäßig die Zähne putzt. Ich habe zwar schon öfter ein paar Zahnbürsten gesehen, die auch mindestens seit fünf Jahren im Einsatz sein müssten, ihrem Aussehen nach zu urteilen, aber benutzt wurden sie während meines Aufenthaltes nicht. Zahnpflege sieht hier anders aus. Meistens nach dem Essen noch am Tisch, sucht man sich ein Stückchen Pappe, ein kleines Stück Holz, ein Stückchen Knochen oder eine Gräte, was eben als Zahnstocher verwendet werden könnte und fährt sich damit im Mund herum. Außerdem lässt man seine Zähne verfaulen bis es soweit ist die beliebten Goldzähne einzusetzen oder aber die Zähne fallen aus ohne dass Goldzähne kommen, dann bleiben eben ein paar Zahnlücken.
Auf dem abendlichen Gang zur Toilette mit Taschenlampe bewaffnet, steht plötzlich ein Stier im Garten und kaut gelassen auf ein paar vertrockneten Maispflanzen herum. Ein Geschenk der Familie der Braut, wahrscheinlich zum Verzehr an der Hochzeit gedacht. Obwohl er an den Hörnern an einen Baum gebunden ist und einen friedlichen Eindruck macht, finde ich es doch ziemlich unheimlich in der Dunkelheit mich an dem Stier vorbeizuzwängen, der mehr oder weniger den Weg versperrt. Endlich geschafft! Ich liege wieder in dem ein paar Grad kalten Zimmer unter meiner Schafsdecke und schlafe zufrieden ein.

02.11.2007

Ein Tag aus Woche 1

Früh morgens in Baku, noch ins warme Bett gekuschelt, laufen plötzlich aufgeregt erzählende Kinder vorm Fenster vorbei – es ist also genau viertel vor acht, nach diesen süßen Kindern kann man wirklich die Uhr stellen. Na ja, da kann ich mich ja noch mal umdrehen und eine Runde weiterschlafen, denn der Arbeitsalltag fängt hierzulande etwas später an. Um halb neun klingelt dann aber doch der Wecker und ich springe munter aus dem Bett. Der Anblick von zahlreichen toten Mücken, die an der Wand kleben, lassen mich die Ereignisse der Nacht in mein Gedächtnis zurückrufen: insgesamt drei mal durch Mückengesurre aufgewacht und 17 Mücken und 2 Silberfische erschlagen. Egal. Erstmal duschen und frühstücken, dann kann man auch der größten Mückenplage gleichgültig begegnen. Das Duschen muss zeitlich allerdings nach hinten verschoben werden, denn es gibt mal wieder kein Wasser. Nach zwei Stunden bin ich dann auch schon (geduscht und erholt) auf dem Weg zur Arbeit. Es ist viel los auf den Straßen. Da ich in der Nähe der Uni wohne, treffe ich vor allem Studenten. Die erkennt man daran, dass sie außer ihrem Handy und eventuell einem kleinem Heft eigentlich nichts mit sich herumtragen, am liebsten in Kleingruppen von vier bis sieben Jungs oder Mädels auftreten und mit schwarzen vorne spitz zulaufenden Klackerschuhen, meistens im Anzug (aber ohne Krawatte) bzw. schick gekleidet sind und sich schminken wie für einen Modeauftritt. Mit Sneakers, Jeans und Rucksack könnte man sich auch „underdressed“ vorkommen, aber soweit bin ich noch nicht.
Bei AOS kommen die ersten Mitarbeiter gegen zehn Uhr. Die Arbeitsatmosphäre im Büro ist im Allgemeinen sehr entspannt und angenehm und ich habe nicht den Eindruck, dass jemand unter Stress oder Zeitdruck steht. Ich arbeite in einem sehr netten, aufgeschlossenem, jungen Team. Von etwa zehn Mitarbeiter sind bis auf drei alle unter 30 Jahre alt. Während ich an meinem kleinen Schreibtisch sitze und fleißig 18 Jahre alte, russische Generalstabskarten georeferenziere, scheint auch den Anderen im Office ihre Arbeit Spaß zu machen. Alle unterhalten sich viel und fröhlich auf Aserbaidschanisch. Zwischendurch übersetzt der ein oder andere aber auch mal für mich. Obwohl ich den Eindruck habe, dass viel gequatscht wird, scheinen doch alle ihre Arbeit gut auf die Reihe zu kriegen. Um halb drei Uhr nachmittags gibt es auch schon Mittagessen (Büros in Aserbaidschan sind üblicherweise in einem Wohnhaus in einer Wohnung mit Küche, Bad und drei Zimmern). Wie jeden Mittag hatten zwei Mitarbeiterinnen gekocht. Am ersten Tag versicherte man mir noch, dass jeden Tag jemand anderes kocht und ich hatte mich schon auf die Kochkünste aserbaidschanischer Jungs gefreut. Aber spätestens nach drei Tagen wurde mir klar, dass es keine Rotation am Herd gibt. Heute gibt es weder russische noch aserbaidschanische Suppe, sondern erst angebratene und dann gekochte Nudeln mit einer Soße die zu 80% aus „Wurst für Moslems“ und zu 20% aus Tomaten besteht. Dazu gibt es Käse, Gurkenscheiben und Brot. Klingt komisch, schmeckt aber lecker! Eine Stunde nach dem Essen gibt es dann ein „Office Meeting“, wo ausführlich von einer Konferenz erzählt wird und man sich Fotos ansieht. Und dann ist es auch schon fast wieder 18 Uhr und damit der Arbeitstag zu Ende. Völlig ausgetrocknet komme ich Zuhause an. Zum Glück ist unsere Teekanne wie immer voll mit Thymiantee. Corinne und ich überlegen was wir heute zum Abendbrot essen könnten und kommen aufgrund akutem Zuckermangels (das Halva ist alle) auf die Idee einen Kuchen zu backen – Guglhupf (eigentlich wollen wir Apfelkuchen backen, denn in Baku kann man für relativ wenig Geld sehr leckere Äpfel kaufen, aber der Apfelmann steht mit seinem Wolga voller Äpfel heute leider nicht bei uns im Prospekt). Schnell noch in den Supermarkt rennen und alle Zutaten kaufen. In dem kleinen Laden an der Ecke kennt man uns schon - die zwei Europäerinnen, die immer versuchen mit ihren drei Worten Russisch einzukaufen - und wie immer werden wir mit einem breiten Grinsen und einem freundlichem „Salam“ begrüßt. Leider gibt es keine gemahlenen Haselnüsse, deswegen werden Ganze gekauft, die müssen wir dann eben selber klein kriegen. Wieder Zuhause macht sich Corinne mit einem Messer daran die Nüsse zu mahlen oder wenigstens zu zerkleinern, nach einer Stunde hat sie allerdings noch nicht mal die Hälfte - na ja wird eben ein Guglhupf mit weniger Nüssen, die schmecken ja auch wenn sie nicht im Kuchen sind. Alles in die Springform und jetzt nur noch schnell rein damit in den Gasofen. Obwohl wir beide noch nie mit einem Gasofen gebacken haben, brennt eine Gasflamme schon nach etwa fünf erfolglosen Versuchen. In der Küche riecht es inzwischen, als ob wir den ganzen Abend gekokelt hätten, denn wir zünden jedes Mal ein Stück gerolltes Zeitungspapier an, sozusagen als verlängertes Streichholz, um uns nicht die Finger zu verbrennen. Leider hat der Gasknopf am Ofen aber wohl einen Wackelkontakt, denn sobald man ihn nicht die ganze Zeit gedrückt hält, geht der Ofen wieder aus. Nachdem wir nach einer halben Stunde immer noch nicht weiter sind, beschließen wir den halben Kuchen in einem Wasserbad auf dem Herd zu „backen“ und die andere Hälfte, wie einen dicken Eierkuchen in der Pfanne zu braten. Beides funktioniert tatsächlich und unsere Kuchen schmecken vorzüglich. Satt und zufrieden setzte ich mich hinter meinen Laptop, höre Musik und schreibe Emails. Plötzlich gehen Musik und Licht aus, der Rechner läuft mit Batteriebetrieb und unser langsames, aber zuverlässiges W-Lan gibt abrupt seinen Geist auf. Ein Blick aus dem Fenster in die kohlrabenschwarze Nacht sagt mir: Stromausfall. Heute Abend wird es wohl nichts mehr mit Emails schreiben, da bleibt nur noch die Option früher schlafen zu gehen und von den Abenteuern zu träumen, die mich in Aserbaidschan hoffentlich noch erwarten werden.