

Vor Lichterketten und Glitzerbehang fast platzende, riesige Weihnachtsbäume stehen in Baku schon seit Anfang Dezember herum, bis zum Ende des Monats werden es immer mehr und auch mehr Weihnachtsmänner sieht man auf der Straße herumlaufen oder auf Bänken sitzen, damit man sich mit ihnen fotografieren lassen kann – für einen unvergesslichen Moment im Familienalbum. Für uns ein bisschen komisch, denn auch nach Weihnachten bzw. immer noch also im Januar blinken die Weihnachtsbäume und die Weihnachtsmänner zwinkern immer noch von den Bänken herüber und warten auf die nächsten Fotokandidaten. Aber Weihnachten ist doch längst vorbei bzw. Aserbaidschan ist ein muslimisches Land – woher der ganze Weihnachtskram? Wahrscheinlich ist das mit dem Weihnachtsbaum und den Weihnachtsmännern ein Resultat der russischen Einflüsse in Aserbaidschan. Das russisch orthodoxe Weihnachtsfest findet am 07. Januar statt und die Menschen machen sich ihre Geschenke zu Silvester. Aber das Neujahrsfest bzw. Silvester ist in Aserbaidschan besonders deswegen so wichtig, denn es handelt sich auch um den Tag der Vereinigung aller Aserbaidschaner.
Bei AOS feiern wir am 29.12. „New Year“. Mittags sitzen alle an einer langen Tafel, es gibt Säfte, Softdrinks, Rotwein für die Männer, Piraschki, überfahrenes Huhn, Gutabi, Mayonnaise Salate, Obst und Sahnetorte. Der hierarchischen, patriarchischen Rangordnung folgend (also erst der Chef, dann zuerst alle Männer ihrer Rangstellung im Büro folgend und dann die Frauen) bringt jeder einen Toast aus und wünscht AOS für die Zukunft eine prosperierende Entwicklung, Wachstum und Fortschritt. Aber natürlich darf auch der Gedanke an die Gesamtheit aller Aserbaidschaner nicht vernachlässigt werden und deswegen wird unter anderem auch auf eine baldige Befreiung Berg-Karabachs getrunken. Ein unleidiges, politisch sehr umstrittenes, emotional hoch aufgeladenes Thema, das man als Ausländer versucht nicht unbedingt anzusprechen. In meiner ersten Woche in Aserbaidschan fand ich mich nach bloßer Erwähnung aus Neugier mitten in einer heftigen Diskussion wieder. Aus Fehlern lernt man und inzwischen versuche ich mit den meisten Personen politische Diskussionen zu vermeiden. Nicht nur, weil die Diskussionen oft unsachlich und sehr emotional werden, sondern weil ich auch das Gefühl habe, die meisten sind es Leid immer wieder über den Konflikt mit Armenien zu sprechen. Gerade mit Ausländern, die eine völlig andere Perspektive im Konflikt einnehmen und eine eurozentrische Interpretation des Konfliktes haben, führt eine derartige Diskussion in den meisten Fällen nur zu Missverständnissen und Unverständnis auf beiden Seiten. Trotzdem werde ich den Eindruck nicht los, dass es in absehbarer Zeit zu gar keiner friedlichen Einigung im Streit mit Armenien kommen kann, denn der Zorn und die unangefochtene Opferhaltung und Einstellung man sei im Recht wird wie ein zähes Feuerchen geschürt (auf beiden Seiten im Übrigen). Die junge Generation kommt so gar nicht auf die Idee die Situation zu hinterfragen oder eine andere Perspektive einzunehmen. Zum selbstständigen Denken wird man in Aserbaidschan nicht erzogen, was aber nicht heißt, dass es in Aserbaidschan niemanden gibt, der reflektiert und nachdenkt. Ich habe in der Zwischenzeit viele, vor allem junge, sehr fitte Azeris kennen und schätzen gelernt. Trotzdem ist es schade, dass das Bildungssystem so verkommen und marode ist, denn es gibt viele intelligente und interessierte junge Menschen hier und sicher noch viel mehr, die Potential aufweisen, das nur nicht gefördert wird. Aber die meisten derjenigen, die etwas voranbringen und bewegen könnten sind dann auch diejenigen, die weggehen und die die Chance nutzen, um im Ausland studieren oder zu arbeiten.
Kurzer Exkurs – jetzt geht es wieder um Neujahr. Michi hatten wir nach einigen anfänglichen Schwierigkeiten ja doch noch glücklicherweise nach Aserbaidschan geschleust. Eigentlich haben wir nicht mehr damit gerechnet, denn auf der aserbaidschanischen Botschaft in Tbilisi, wo Michi seit Wochen sein Visum beantragen wollte, hieß es plötzlich: vom 25.12. bis 02.01. werden keine Visa ausgestellt. Ok, und wieso? Zuerst unterstellten wir der Botschaft gemeine Willkür. Aber da lagen wir falsch, denn der sehr nette und hilfsbereite Botschaftsmitarbeiter hatte selber Angst um sein Leben. Das Kontingent an Visa für 2007 war vor Ablauf des Jahres ausgelaufen. Haben wir wieder was gelernt, es gibt eine vorher festgelegte Anzahl an Visa, die pro Jahr ausgestellt werden können. Tatsächlich? Oder nur bei der aserbaidschanischen Botschaft in Tbilisi?! Auf jeden Fall wartete der Botschaftsmitarbeiter genauso sehnsüchtig auf Visanummern aus Baku wie wir und die LKW-Fahrer an der aserbaidschanischen Grenze, die seit Tagen an der Grenze festsaßen. Aller guten Dinge sind drei und beim dritten Versuch, am 28.12. gab es dann doch noch eine Nummer für Michi und wir konnten ihn mit in die kaukasische Metropole nehmen. Silvester genossen wir von einer Dachterrasse in der Altstadt einen schönen Blick auf Baku City und das Feuerwerk. Punkt 12 stießen wir mit einem Dutzend anderen Deutschen auf das Neue Jahr an, aber von Feuerwerk keine Spur. Eigentlich nicht so verwunderlich, eher erwartungsgemäß. Zehn Minuten nach 12 ging es dann aber los und die nächste halbe Stunde war der Himmel über Baku flackernd, bunt erleuchtet.
Bald nun ist Weihnachten….und Corinne und ich wollen nicht alleine in Baku vor dem nicht vorhandenen Weihnachtsbaum hocken und die Wand anstarren und auch Michi und Corinna, die beiden anderen ASAten in Tbilisi sehnen sich nach kommunikativer Gesellschaft. Was liegt da näher als für uns die Gelegenheit am Schopfe zu packen und uns in einen total überheizten Nachtzug nach Tbilisi zu setzen. An der Grenze füllen wir eine georgische Zollerklärung aus, die auch noch komplett in georgischer Schrift anflattert – ohne zu unterschreiben – aber das interessiert anscheinend niemanden, denn den Stempel kriegen wir trotzdem.
Tbilisi hat Charakter, die Menschen in Georgien sehen uns schon ähnlicher und, das soll jetzt eigentlich nur ein Kompliment für die Georgier sein, es handelt sich nämlich um überdurchschnittlich schöne Menschen. Schon vormittags kann es passieren, dass man sich in einen überquellenden Bus quetscht und mal mehr mal weniger dezent in den Genuss von Vodkaschwaden und anderen Körpergerüchen kommt – in Aserbaidschan passiert das so gut wie nie. Das soziale Gefälle in Tbilisi ist nicht so ausgeprägt wie in Baku. Es fehlen die Superreichen und man sieht mehr Bettler und eine große Masse an Menschen, die im ökonomischen Mittelfeld zu schwimmen scheinen. Im Gegensatz zu Baku versteht eigentlich niemand Englisch auf der Straße oder in Geschäften, auf dem Bazar hat man manchmal sogar mit Russisch Verständigungsprobleme. Die jüngste politische Unruhe im Land spiegelt sich an den mit einem grinsenden Saakaschwili zuplakatierten staatlichen gelben Bussen wieder. Im Fernsehen bringt nach 18 Uhr jeder Sender nur noch entweder Wahlpropaganda à la Saakaschwili (besonders eindrucksvoll: winkende und lachende, vor Glück nur so sprudelnde Kinder, die durch Tbilisi laufen und man das Gefühl bekommt kein Land lässt mehr Endorphine ausschütten als Georgien), ohne Punkt und Komma redende Mitglieder der Opposition oder Interviews mit Saakaschwili. Die georgische Küche – ein Genuss. Zum Frühstück gibt es bevorzugt Gebäckkugeln mit Vanillefüllung oder Nutellabrot (na gut, das ist weniger georgisch...). Mittags dann Chatschapuri (Käsebrot – total lecker) und abends alles was sonst noch übrig bleibt, z.B. eingelegte Auberginen mit Knoblauch und Walnüssen, mit Käse überbackene Pilze, Lobio (Bohnenpampe), immer wieder Chatschapuri, riesige Mantu und dazu georgische, pappsüße Limonade, sehr mineralhaltiges, salziges Wasser oder Rotwein.
Und was hat mir am besten gefallen? Der Besuch im Schwefelbad! Die beste Erfindung überhaupt. Verfroren und voller Vorfreude betritt man die nach Schwefel stinkenden Gewölbe, zahlt ein paar Lari, bekommt ein großes Laken und kann sich dann im privaten Schwefelbad austoben. Das Wasser kommt direkt aus dem Untergrund und wärmt den ganzen Körper im dampfenden Bad so richtig auf. Zwischendurch springt man unter die kalte Dusche, versucht dabei den Kreislauf unter Kontrolle zu behalten und dann geht es wieder ins heiße Wasser. Nach diesem sehr wohltuenden und angenehm entspannenden Bad ist die Haut ganz weich und bis aufs äußerste relaxt, zufrieden und glücklich schwebt man nach Hause wo man im günstigsten Fall gleich ins Bett und in einen komaartigen Schlaf fällt. Ich nehme am gleichen Abend noch, den wieder total überheizten Nachtzug nach Baku, wo ich zwar aufgrund der Hitze (wie auch viele anderen Mitfahrer) nicht schlafen kann, aber dafür gute Gespräche über die Unterschiede zwischen Georgien, Aserbaidschan und Deutschland führe und nach dem Aufstehen Tee und Kekse bekomme.