bitte Platz nehmen auf dem Eisenbaum
der Stausee
Blick aus dem Zug
der Stausee
Blick aus dem Zug
im "Express" [verbotenes Bild, denn ich wurde zwar darauf hingewiesen, dass ich das Innere des Zuges nicht fotografieren darf, aber halte ich mich an solche Verbote...?]
Der letzte Tag im November und Corinne und ich machen uns auf nach Lenkoran. Es geht darum den Lehrpfad im Nationalpark gegen Ende des Jahres fertig zu stellen. Da ich ja eigentlich mit dem Projekt nicht viel zu tun habe, aber aus Interesse und vielleicht auch ein bisschen Helfersyndrom (ich will ja schließlich Gutes tun hier) Mehrab angeboten habe, dass ich ihm helfen kann, besteht meine Aufgabe darin einen Übersichtsplan vom Lehrpfad zu erstellen (digital, dank ArcPad auch möglich) und Fotos und Texte für die Infotafeln zu machen. Da Corinne endlich auch mal raus aus Baku will und mich tatsächlich mehr von Lenkoran als immer nur der Bahnhof interessiert, beschließen wir schon einen Tag früher als Mehrab zu fahren und finden uns deswegen am morgen des ersten Advents nach einer weiteren Nacht im Zug (diesmal zur Abwechslung wieder „Koupe“ [2. Klasse] aber aufgrund der ununterbrochen bullernden Heizung recht luft- bzw. sauerstoffarm) auf dem Bahnsteig von Lenkoran ein. Eine Adresse von der Familie bei der wir übernachten wollen haben wir nicht, aber beim letzten Mal wurde mir versichert, dass alle schon wüssten wo es hingeht, wenn ich sage, dass wir in die Nähe des Nationalparks wollen. Also laufen wir der Herde rufender Taxifahrer in die Arme und äußern unseren Wunsch. Wir möchten bitte in ein Dorf in der Nähe des Hirkan Nationalparks, wie viel kostet das? Hirkan Nationalpark….? [ratlose Gesichter] HIRKAN NATIONALPARK! Ahhh Heydar Aliyev Park, ja klar steigt ein! NEIN, nicht Heydar Aliyev Park, Hirkan Nationalpark, in ein Dorf in der Nähe des Nationalparks! Die Taxifahrer diskutieren wild miteinander und dann sagt einer, ja ok Hirkan Nationalpark, das kennen wir. Wieviel kostet das? Gleichzeitig rufen drei oder vier Männer einen Preis, wir verstehen nur bei dem einen sieben Manat und beim anderen zwei Manat. Ja cool, zwei Manat für etwa 15 km, da steigen wir doch glatt ein und freuen uns, dass wir einen so guten Preis bekommen haben. Also wir wollen in ein Dorf in die Nähe des Hirkan Nationalparks, ok? Ja ja, steigt ein! Mit einem alten Taxi und einem noch älteren Fahrer geht es los und ich will es mir schon auf der Rückbank bequem machen, als der Taxifahrer nach etwa zwei Minuten Fahrt (und wir sind immer noch in Lenkoran) langsamer wird und anfängt auf uns einzureden. Ein kurzer Denkmoment und wir verstehen: wir sind in der Heydar Aliyev Straße, welches Haus ist es denn nun? Nein, nicht Heydar Aliyev Straße, sondern Hirkan Nationalpark, wir wollen nicht nach Lenkoran, sondern in ein Dorf, das ist noch ein Stück weiter! Hier ist die Heydar Aliyev Straße, wo soll ich anhalten? Er hält das Taxi an und wir diskutieren im Auto weiter. Wir werden langsam sauer, denn unserer Meinung nach haben wir uns klar und deutlich ausgedrückt und jetzt macht er hier auf der Heydar Aliyev Straße so ein Theater. Schließlich steigen wir aus, schnappen uns unsere Rucksäcke und ignorieren die Rufe des Taxifahrers. Dachte er für diese Irrfahrt kriegt er auch noch Geld? Na gut halten wir eben das nächste Taxi an, die Leute werden hier doch wohl den Nationalpark kennen, wenn sie in den Süden fahren, dann fährt man direkt daran vorbei und es steht ja auch auf einem großen Schild an der Straße. Das nächste Taxi wird angehalten – Hirkan Nationalpark? Ein verwirrter Blick – ok, war ja nur eine Frage. Am Straßenrand sind ein paar Frauen unterwegs. Ich gehe auf sie zu und frage sie, ob sie den Nationalpark kennen. Ein erfreuter Blick: Heydar Aliyev Park? Nein, HIRKAN! Ahh Hirkan, ja ja das kenne ich. Sie sprechen untereinander und erklären dann einem Taxifahrer, der mit seinem Wagen zufällig am Straßenrand zu stehen scheint, wo wir hinwollen. Dieser scheint verstanden zu haben, ok für 12 Manat. WAS? Nein wir haben nur fünf – na gut fünf ist auch ok ;-). Also geht es wieder rein ins Taxi und tatsächlich nach etwa zwanzig Minuten sind wir da (Lektion: frage immer die Frauen hier, denn die geben dir im Gegensatz zu den Männern vernünftige Antworten und wissen Bescheid).
Nach einem ausgiebigen aserbaidschanischen Frühstück (bei dem ich übrigens meinen Calciumhaushalt mit einem Glas warmer Milch wieder auf Normalniveau verfrachtet habe, nach fünf milchlosen Wochen) legen wir uns hin um ein bisschen Schlaf von der Nacht nachzuholen. Nach dem Aufstehen gibt es schon wieder etwas zu essen und danach schaffen wir es endlich mit der Maschrutka in die Stadt. Wir wollen zuerst zum Bahnhof um uns ein Ticket für die geplante Rückfahrt in drei Tagen zu kaufen. Die Maschrutka fährt allerdings nicht zum Bahnhof, sondern hält mitten in der Stadt, wo der Basar ist. Wir fragen ein paar Leute wie wir am besten zum Bahnhof kommen, aber zu Fuß, nicht mit dem Auto, als sie beginnen uns zu überzeugen für ein paar Manat doch hier gleich mit einem der Autos mitzufahren, die herumstehen. Da vorne gleich rechts und in 100 nein in 500 Metern kommt dann der Bahnhof. Oh super, das hört sich leicht an, Danke für die Hilfe. In kluger Voraussicht führte uns Agil, ein junger Aserbaidschaner. Er lotst uns durch den Basar und marschiert bis zum Bahnhof immer vorneweg. Sehr nett von ihm und für uns ein purer Glücksfall, denn natürlich kommt der Bahnhof erst nach einigen Malen links und rechts, nach etwa zehn Minuten Fußmarsch. Am Schalter werden wir erstmal zu einem anderen Schalter um die Ecke geschickt, denn an diesem werden nur Tickets für den heutigen Tag verkauft. Also laufen wir zu dem anderen Schalter und freuen uns, dass dieser offen ist, und auch nur eine Person vor uns in der Schlange steht. Problemlos kaufen wir das Ticket für Mittwoch mit dem Expresszug zurück nach Baku. Zwischendurch kommt ein kleiner runder freundlicher Mann herein, der mich ganz entzückt anstrahlt. Ja ja er kenne mich, bin ich nicht diejenige, die hier schon letzte Woche mit so einem kleinen (auf die Körpergröße) bezogenen Jungen war (er meint Mehrab, der im Vergleich zu mir sehr klein ist). Ja und also er freut sich sehr mich wiederzusehen, und ich sei aus Deutschland. Deutschland ist so schön! Ja, Aserbaidschan ist doch auch schön. Nein, Deutschland ist viel schöner. Und ob ich verheiratet sei? Nein, ob ich einen Freund hätte…. Na ja, er sei auf jeden Fall sehr erfreut, dass er mich kennengelernt hätte. Eine lustige kurze Bekanntschaft, wie so oft hier ;-)!
Mit dem Express-Ticket für drei Manat in der Tasche laufen wir zurück auf den Basar und spazieren etwas planlos durch die Stadt. Der erwünschte „Atmungseffekt“ stellt sich allerdings auch hier nicht ein (Zur Erläuterung: die dicke verschmutzte Luft in Baku und die trockene Heizungsluft im Zug. Wie überall außerhalb Bakus heizen sie Menschen hier allerdings mit Holz, denn seit dem Zerfall der Sowjetunion gibt es kein Gas mehr für sie und dementsprechend schlecht ist natürlich auch die Luft in den Kleinstädten und Dörfern). Stattdessen kaufen wir auf dem Basar etwas was unser Herz erfreut. Schöne gestrickte Wollstrümpfe oder Bettschuhe, Hausschuhe, wie auch immer man sie nennen mag, für Corinne sind es nur noch ihre „Stiefel“, die sie mit Begeisterung von nun an so oft trägt wie möglich, also im Haus, im Zug,….
In Lenkoran gibt es nicht so viel zu sehen. Leider sind wir nicht auf die Idee gekommen den Heydar Aliyev Park zu erkunden, der wäre sicher eine Attraktion gewesen. Nach einer regnerischen halben Stunde warten auf eine Maschrutka, die eigentlich noch kommen sollte, was viele Busfahrer und Passanten uns gesagt hatten, die dann aber anscheinend doch nicht mehr fährt, nehmen wir uns ein Taxi zusammen mit einem anderen Mann, den wir wahrscheinlich mitfinanzieren, denn zuerst wartet er noch auf irgendein Auto und dann sitzt er plötzlich auch bei uns im Taxi. Inzwischen haben wir auch die Adresse von unserer Gastfamilie notiert und die Leute wissen nun halbwegs wo wir wohnen, denn der Hirkan Nationalpark ist den meisten hier kein Begriff – das wissen wir jetzt.
So unser erster Advent. Ohne Adventskranz und Plätzchen, aber dafür mit dem ein oder anderen Müllfeuer (als Kerzenersatz?!) und leckeren Mandarinen, Pecannüssen und Granatäpfeln aus dem Garten.
Der folgende Tag ein regnerischer Montag. Mehrab ruft an, um mitzuteilen, dass er heute nicht wie geplant kommt und auch noch nicht weiß wann und ob er kommt. Mmmhhh….mal wieder eine Lektion „Arbeitskultur in Aserbaidschan“. Erstmal ziemlich vor den Kopf gestoßen, denn der Ausflug war lange geplant und ist inhaltlich und zeitlich relativ dringlich. Da ich weder verantwortlich für das Projekt bin noch weiß was bis jetzt wie beschlossen wurde, ganz zu schweigen davon, dass ich kein Aserbaidschanisch spreche und deswegen alleine nicht viel ausrichten kann, beschließen Corinne und ich, dass wir schon einen Tag früher wieder zurück nach Baku fahren wollen. Denn bei Regen kann man hier nicht viel unternehmen und in Baku wartet mein GIS auf mich und die Sprachschule und eine Präsentation auf Corinne. Ich fange an den Lehrpfad mit Fotos zu dokumentieren und mache mich daran eine Übersichtskarte vom Pfad mit ArcPad zu erstellen. Das macht total Spaß, so durch den Wald zu laufen, und auf einem kleinen Bildschirm meine Route mit dem Tracklog zu verfolgen ;-)…so könnte ich mir gerne öfter die Zeit vertreiben! Währenddessen fährt Corinne wieder nach Lenkoran um unser Zugticket umzutauschen. Die Tickets werden hier auf den Namen ausgestellt und man bekommt einen Sitzplatz zugewiesen, deswegen kann man nicht einfach an einem anderen Tag oder mit einem anderen Zug fahren, sondern nur mit dem Zug für den man das Ticket gekauft hat. Wir sich später herausstellt war der Ticketschalter aber schon geschlossen, das heißt wir werden unser Ticket morgen früh kaufen gehen. Abends bei unserer Gastfamilie im Wohnraum während wir noch Mandarinen essen, Granatäpfel picken und Pecannüsse knacken fällt der Strom aus. Das passiert hier sehr oft. Ein Moment in dem man, während man so kichernd im Dunkeln sitzt auch versucht die politischen und wirtschaftlichen Strukturen in diesem Land zu verstehen. Während sich einige wenige die Erdölmillionen in die Taschen schaufeln, in Baku bei Armani shoppen gehen und mit ihrem schillernden BMW X3 durch die Stadt jagen, haben zwei Drittel der Bevölkerung, die im ländlichen Raum Aserbaidschans leben, kein Gas, oft keinen Strom und mancherorts auch kein fließendes Wasser. Nur der Sohn wird zur Universität geschickt, denn für die Tochter reicht das Geld nicht eine Hochschulausbildung zu finanzieren.
Am nächsten Morgen um halb acht reißt uns der Wecker aus unseren süßen Träumen. Aufstehen und dann schnell zum Bahnhof fahren, damit wir in der Schlange nicht so weit hinten stehen, denn der Schalter macht um acht Uhr auf und man kann nur dort Tickets für den jeweiligen Tag kaufen. Tickets für folgende Tage kauft man an einem anderen Schalter, der ganz woanders ist am Bahnhof. Weil nur ein Expresszug pro Tag und der Nachtzug fahren, ist die Anzahl an Plätzen begrenzt und wenn man erst am späten Vormittag kommt, kann es gut sein, dass man kein Ticket mehr bekommt. Zu unserer Freude sind aber nur ein paar andere Leute vor uns und die Schlange hält sich in Grenzen. Schnell geht es aber trotzdem nicht, denn der Ticketverkäufer füllt jeden Fahrschein einzeln per Hand aus und streicht die eingetragenen Plätze in einem Heft aus. Wir freuen uns, dass es noch Tickets gibt für den Expresszug am späten Nachmittag nach Baku (im Gegensatz zum Nachtzug der 8,5 Stunden unterwegs ist, braucht man mit dem Express nur (!) 6,5 Stunden – für eine Strecke von etwa 300 bis vielleicht 350km ;-)). Umtauschen können wir unsere schon gekauften Tickets für den nächsten Tag hier aber nicht, dafür müssen wir zu dem anderen Schalter um die Ecke gehen. Also steuern wir den anderen Schalter an, denn schließlich möchten wir unsere 3 Manat wiederbekommen (soviel kostet eine Fahrt mit dem Expresszug). Nach zehn Minuten springt auch schon der Bahnangestellte aus einem Taxi und öffnet seinen Schalter (ein kleines Büro). Guten Morgen, wir würden gerne unser Ticket zurückgeben, denn wir fahren schon heute und nicht morgen. Ein verständnisvolles Nicken und trotzdem wird erst ein anderer Mann bedient, der gerade das Büro betritt. Na gut, das geht relativ schnell und wahrscheinlich weil nun außer uns und einem „arbeitslosen“, an uns interessierter netter Polizist niemand sonst da ist, wendet sich der Ticketmensch nun unseren Fahrkarten zu. Aus einem kleinen Schrank kramt er drei A3-Bögen hervor. Auf einen trägt er die Daten unserer Tickets ein und macht auf allen dreien im letzten Feld zwei Häkchen. Wir sollen unterschreiben, auf allen drei Bögen. Dann notiert er sich noch etwas in ein Heft und händigt uns jeweils 2,40 Manat aus. Wir wollen schon protestieren, dass das Ticket aber 3 Manat kostete, als wir merken, dass wir die Steuer natürlich nicht wiederbekommen. Yeahhh, so ein Aufwand für 4,80 Manat, da können wir uns ja jetzt glatt ein Taxi zurück ins Dorf leisten. Damit unterstützen wir wenigstens die lokalen Wirtschaftskreisläufe, und das machen wir doch gerne.
Den restlichen Tag bis zu unserer Abfahrt über wollen wir das sonnige Wetter nutzen und endlich den Nationalpark kennenlernen. Genau, den Heydar Aliyev Park! Hadji (der wissenschaftliche Mitarbeiter im Nationalpark, dessen Herz für die Botanik schlägt und der den Park wie seine Westentasche kennt, im Übrigen auch als einziger Englisch spricht und derjenige ist mit dem AOS und Nabu korrespondieren) macht sich mit uns auf den Weg und bald stiefeln Corinne und ich entspannt, zufrieden und glücklich durch einen Wald aus Eisenbäumen auf einem bunten Laubteppich. Ein schöner Wald, ungenutzt, natürlich. Ein paar Kühe sind auch unterwegs und knabbern Jungtriebe ab [Corinne ermahnt mich gerade, dass ich das nicht schreiben darf, denn „es gibt keine Kühe im Wald“. Ja stimmt, wenn man die Leute im Hirkan fragt, dann wird einem das auch erzählt, aber dafür liefen doch ganz schön viele herum. Die Kühe laufen dort überall herum, sie stehen nicht wie bei uns eingezäunt auf einer Weide, sondern am Straßenrand, auf der Straße oder eben im Wald, was eigentlich verboten ist, aber wenn ich nicht weiß was ein Nationalpark ist und dass es in unmittelbarer Nähe einen gibt, wenn ich Vieh habe und mich nur interessiert, dass das Tier etwas Fett ansetzt und nicht wie es etwas zu fressen findet, dann passiert es eben schon mal, dass die ein oder andere Kuh hungrig durch den Wald läuft…]. Hadji vertreibt sie auch gleich und wir setzen unsere Wanderung fort, genießen die Stille und merken, dass wir endlich seit langem mal wieder atmen können (Erinnerung: Baku, Zug, Lenkoran & Dörfer - Atmen nicht möglich). Großartig! Wir laufen, Hadji erzählt ununterbrochen und baut sich Eselsbrücken um sich unsere Namen zu merken, deswegen ist er mit Marie Curie und Elizabeth Taylor unterwegs, was ihn sichtlich erfreut, wir kommen an einen Stausee, hören in der Ferne und auch ziemlich nah das Wild röhren, genießen die Sonne, die Luft und die Tatsache, dass wir nach fünf Wochen Großstadtdschungel endlich mal in einem richtigen schönen Wald sind.
Ein bisschen unter Zeitdruck aber noch rechtzeitig schaffen wir es am späten Nachmittag zum Bahnhof und unser Zug fährt pünktlich ein. Der Expresszug beeindruckt uns sehr – mich vor allem weil man ein kleines Fenster am Ende des Waggons öffnen kann und weil es viel Platz gibt und die Sitze offensichtlich mit Verstand auch für größere Menschen konzipiert wurden. Der Passagier fühlt sich wie zu Gast bei der netten Schaffnerin. Sie läuft adrett mit Rock, Bluse und Hausschuhen durch den Wagen und serviert Tee und Kaffee. Die Innenausstattung überzeugt mit grünen Gardinen an den Fenstern, grünen Teppichläufern, grünen Sitzbezügen und zwei Bildern und einem Flachbildschirm an der grünen Wand. Corinne und ich lassen uns in die großzügigen Sitze fallen und genießen bei Tee und Keksen eine, dank Discman und MP3-Player (der Fernseher läuft sechs Stunden mit spannendem Programm (aserbaidschanische Soaps) in voller Lautstärke) entspannte und bequeme Heimreise.
Nach einem ausgiebigen aserbaidschanischen Frühstück (bei dem ich übrigens meinen Calciumhaushalt mit einem Glas warmer Milch wieder auf Normalniveau verfrachtet habe, nach fünf milchlosen Wochen) legen wir uns hin um ein bisschen Schlaf von der Nacht nachzuholen. Nach dem Aufstehen gibt es schon wieder etwas zu essen und danach schaffen wir es endlich mit der Maschrutka in die Stadt. Wir wollen zuerst zum Bahnhof um uns ein Ticket für die geplante Rückfahrt in drei Tagen zu kaufen. Die Maschrutka fährt allerdings nicht zum Bahnhof, sondern hält mitten in der Stadt, wo der Basar ist. Wir fragen ein paar Leute wie wir am besten zum Bahnhof kommen, aber zu Fuß, nicht mit dem Auto, als sie beginnen uns zu überzeugen für ein paar Manat doch hier gleich mit einem der Autos mitzufahren, die herumstehen. Da vorne gleich rechts und in 100 nein in 500 Metern kommt dann der Bahnhof. Oh super, das hört sich leicht an, Danke für die Hilfe. In kluger Voraussicht führte uns Agil, ein junger Aserbaidschaner. Er lotst uns durch den Basar und marschiert bis zum Bahnhof immer vorneweg. Sehr nett von ihm und für uns ein purer Glücksfall, denn natürlich kommt der Bahnhof erst nach einigen Malen links und rechts, nach etwa zehn Minuten Fußmarsch. Am Schalter werden wir erstmal zu einem anderen Schalter um die Ecke geschickt, denn an diesem werden nur Tickets für den heutigen Tag verkauft. Also laufen wir zu dem anderen Schalter und freuen uns, dass dieser offen ist, und auch nur eine Person vor uns in der Schlange steht. Problemlos kaufen wir das Ticket für Mittwoch mit dem Expresszug zurück nach Baku. Zwischendurch kommt ein kleiner runder freundlicher Mann herein, der mich ganz entzückt anstrahlt. Ja ja er kenne mich, bin ich nicht diejenige, die hier schon letzte Woche mit so einem kleinen (auf die Körpergröße) bezogenen Jungen war (er meint Mehrab, der im Vergleich zu mir sehr klein ist). Ja und also er freut sich sehr mich wiederzusehen, und ich sei aus Deutschland. Deutschland ist so schön! Ja, Aserbaidschan ist doch auch schön. Nein, Deutschland ist viel schöner. Und ob ich verheiratet sei? Nein, ob ich einen Freund hätte…. Na ja, er sei auf jeden Fall sehr erfreut, dass er mich kennengelernt hätte. Eine lustige kurze Bekanntschaft, wie so oft hier ;-)!
Mit dem Express-Ticket für drei Manat in der Tasche laufen wir zurück auf den Basar und spazieren etwas planlos durch die Stadt. Der erwünschte „Atmungseffekt“ stellt sich allerdings auch hier nicht ein (Zur Erläuterung: die dicke verschmutzte Luft in Baku und die trockene Heizungsluft im Zug. Wie überall außerhalb Bakus heizen sie Menschen hier allerdings mit Holz, denn seit dem Zerfall der Sowjetunion gibt es kein Gas mehr für sie und dementsprechend schlecht ist natürlich auch die Luft in den Kleinstädten und Dörfern). Stattdessen kaufen wir auf dem Basar etwas was unser Herz erfreut. Schöne gestrickte Wollstrümpfe oder Bettschuhe, Hausschuhe, wie auch immer man sie nennen mag, für Corinne sind es nur noch ihre „Stiefel“, die sie mit Begeisterung von nun an so oft trägt wie möglich, also im Haus, im Zug,….
In Lenkoran gibt es nicht so viel zu sehen. Leider sind wir nicht auf die Idee gekommen den Heydar Aliyev Park zu erkunden, der wäre sicher eine Attraktion gewesen. Nach einer regnerischen halben Stunde warten auf eine Maschrutka, die eigentlich noch kommen sollte, was viele Busfahrer und Passanten uns gesagt hatten, die dann aber anscheinend doch nicht mehr fährt, nehmen wir uns ein Taxi zusammen mit einem anderen Mann, den wir wahrscheinlich mitfinanzieren, denn zuerst wartet er noch auf irgendein Auto und dann sitzt er plötzlich auch bei uns im Taxi. Inzwischen haben wir auch die Adresse von unserer Gastfamilie notiert und die Leute wissen nun halbwegs wo wir wohnen, denn der Hirkan Nationalpark ist den meisten hier kein Begriff – das wissen wir jetzt.
So unser erster Advent. Ohne Adventskranz und Plätzchen, aber dafür mit dem ein oder anderen Müllfeuer (als Kerzenersatz?!) und leckeren Mandarinen, Pecannüssen und Granatäpfeln aus dem Garten.
Der folgende Tag ein regnerischer Montag. Mehrab ruft an, um mitzuteilen, dass er heute nicht wie geplant kommt und auch noch nicht weiß wann und ob er kommt. Mmmhhh….mal wieder eine Lektion „Arbeitskultur in Aserbaidschan“. Erstmal ziemlich vor den Kopf gestoßen, denn der Ausflug war lange geplant und ist inhaltlich und zeitlich relativ dringlich. Da ich weder verantwortlich für das Projekt bin noch weiß was bis jetzt wie beschlossen wurde, ganz zu schweigen davon, dass ich kein Aserbaidschanisch spreche und deswegen alleine nicht viel ausrichten kann, beschließen Corinne und ich, dass wir schon einen Tag früher wieder zurück nach Baku fahren wollen. Denn bei Regen kann man hier nicht viel unternehmen und in Baku wartet mein GIS auf mich und die Sprachschule und eine Präsentation auf Corinne. Ich fange an den Lehrpfad mit Fotos zu dokumentieren und mache mich daran eine Übersichtskarte vom Pfad mit ArcPad zu erstellen. Das macht total Spaß, so durch den Wald zu laufen, und auf einem kleinen Bildschirm meine Route mit dem Tracklog zu verfolgen ;-)…so könnte ich mir gerne öfter die Zeit vertreiben! Währenddessen fährt Corinne wieder nach Lenkoran um unser Zugticket umzutauschen. Die Tickets werden hier auf den Namen ausgestellt und man bekommt einen Sitzplatz zugewiesen, deswegen kann man nicht einfach an einem anderen Tag oder mit einem anderen Zug fahren, sondern nur mit dem Zug für den man das Ticket gekauft hat. Wir sich später herausstellt war der Ticketschalter aber schon geschlossen, das heißt wir werden unser Ticket morgen früh kaufen gehen. Abends bei unserer Gastfamilie im Wohnraum während wir noch Mandarinen essen, Granatäpfel picken und Pecannüsse knacken fällt der Strom aus. Das passiert hier sehr oft. Ein Moment in dem man, während man so kichernd im Dunkeln sitzt auch versucht die politischen und wirtschaftlichen Strukturen in diesem Land zu verstehen. Während sich einige wenige die Erdölmillionen in die Taschen schaufeln, in Baku bei Armani shoppen gehen und mit ihrem schillernden BMW X3 durch die Stadt jagen, haben zwei Drittel der Bevölkerung, die im ländlichen Raum Aserbaidschans leben, kein Gas, oft keinen Strom und mancherorts auch kein fließendes Wasser. Nur der Sohn wird zur Universität geschickt, denn für die Tochter reicht das Geld nicht eine Hochschulausbildung zu finanzieren.
Am nächsten Morgen um halb acht reißt uns der Wecker aus unseren süßen Träumen. Aufstehen und dann schnell zum Bahnhof fahren, damit wir in der Schlange nicht so weit hinten stehen, denn der Schalter macht um acht Uhr auf und man kann nur dort Tickets für den jeweiligen Tag kaufen. Tickets für folgende Tage kauft man an einem anderen Schalter, der ganz woanders ist am Bahnhof. Weil nur ein Expresszug pro Tag und der Nachtzug fahren, ist die Anzahl an Plätzen begrenzt und wenn man erst am späten Vormittag kommt, kann es gut sein, dass man kein Ticket mehr bekommt. Zu unserer Freude sind aber nur ein paar andere Leute vor uns und die Schlange hält sich in Grenzen. Schnell geht es aber trotzdem nicht, denn der Ticketverkäufer füllt jeden Fahrschein einzeln per Hand aus und streicht die eingetragenen Plätze in einem Heft aus. Wir freuen uns, dass es noch Tickets gibt für den Expresszug am späten Nachmittag nach Baku (im Gegensatz zum Nachtzug der 8,5 Stunden unterwegs ist, braucht man mit dem Express nur (!) 6,5 Stunden – für eine Strecke von etwa 300 bis vielleicht 350km ;-)). Umtauschen können wir unsere schon gekauften Tickets für den nächsten Tag hier aber nicht, dafür müssen wir zu dem anderen Schalter um die Ecke gehen. Also steuern wir den anderen Schalter an, denn schließlich möchten wir unsere 3 Manat wiederbekommen (soviel kostet eine Fahrt mit dem Expresszug). Nach zehn Minuten springt auch schon der Bahnangestellte aus einem Taxi und öffnet seinen Schalter (ein kleines Büro). Guten Morgen, wir würden gerne unser Ticket zurückgeben, denn wir fahren schon heute und nicht morgen. Ein verständnisvolles Nicken und trotzdem wird erst ein anderer Mann bedient, der gerade das Büro betritt. Na gut, das geht relativ schnell und wahrscheinlich weil nun außer uns und einem „arbeitslosen“, an uns interessierter netter Polizist niemand sonst da ist, wendet sich der Ticketmensch nun unseren Fahrkarten zu. Aus einem kleinen Schrank kramt er drei A3-Bögen hervor. Auf einen trägt er die Daten unserer Tickets ein und macht auf allen dreien im letzten Feld zwei Häkchen. Wir sollen unterschreiben, auf allen drei Bögen. Dann notiert er sich noch etwas in ein Heft und händigt uns jeweils 2,40 Manat aus. Wir wollen schon protestieren, dass das Ticket aber 3 Manat kostete, als wir merken, dass wir die Steuer natürlich nicht wiederbekommen. Yeahhh, so ein Aufwand für 4,80 Manat, da können wir uns ja jetzt glatt ein Taxi zurück ins Dorf leisten. Damit unterstützen wir wenigstens die lokalen Wirtschaftskreisläufe, und das machen wir doch gerne.
Den restlichen Tag bis zu unserer Abfahrt über wollen wir das sonnige Wetter nutzen und endlich den Nationalpark kennenlernen. Genau, den Heydar Aliyev Park! Hadji (der wissenschaftliche Mitarbeiter im Nationalpark, dessen Herz für die Botanik schlägt und der den Park wie seine Westentasche kennt, im Übrigen auch als einziger Englisch spricht und derjenige ist mit dem AOS und Nabu korrespondieren) macht sich mit uns auf den Weg und bald stiefeln Corinne und ich entspannt, zufrieden und glücklich durch einen Wald aus Eisenbäumen auf einem bunten Laubteppich. Ein schöner Wald, ungenutzt, natürlich. Ein paar Kühe sind auch unterwegs und knabbern Jungtriebe ab [Corinne ermahnt mich gerade, dass ich das nicht schreiben darf, denn „es gibt keine Kühe im Wald“. Ja stimmt, wenn man die Leute im Hirkan fragt, dann wird einem das auch erzählt, aber dafür liefen doch ganz schön viele herum. Die Kühe laufen dort überall herum, sie stehen nicht wie bei uns eingezäunt auf einer Weide, sondern am Straßenrand, auf der Straße oder eben im Wald, was eigentlich verboten ist, aber wenn ich nicht weiß was ein Nationalpark ist und dass es in unmittelbarer Nähe einen gibt, wenn ich Vieh habe und mich nur interessiert, dass das Tier etwas Fett ansetzt und nicht wie es etwas zu fressen findet, dann passiert es eben schon mal, dass die ein oder andere Kuh hungrig durch den Wald läuft…]. Hadji vertreibt sie auch gleich und wir setzen unsere Wanderung fort, genießen die Stille und merken, dass wir endlich seit langem mal wieder atmen können (Erinnerung: Baku, Zug, Lenkoran & Dörfer - Atmen nicht möglich). Großartig! Wir laufen, Hadji erzählt ununterbrochen und baut sich Eselsbrücken um sich unsere Namen zu merken, deswegen ist er mit Marie Curie und Elizabeth Taylor unterwegs, was ihn sichtlich erfreut, wir kommen an einen Stausee, hören in der Ferne und auch ziemlich nah das Wild röhren, genießen die Sonne, die Luft und die Tatsache, dass wir nach fünf Wochen Großstadtdschungel endlich mal in einem richtigen schönen Wald sind.
Ein bisschen unter Zeitdruck aber noch rechtzeitig schaffen wir es am späten Nachmittag zum Bahnhof und unser Zug fährt pünktlich ein. Der Expresszug beeindruckt uns sehr – mich vor allem weil man ein kleines Fenster am Ende des Waggons öffnen kann und weil es viel Platz gibt und die Sitze offensichtlich mit Verstand auch für größere Menschen konzipiert wurden. Der Passagier fühlt sich wie zu Gast bei der netten Schaffnerin. Sie läuft adrett mit Rock, Bluse und Hausschuhen durch den Wagen und serviert Tee und Kaffee. Die Innenausstattung überzeugt mit grünen Gardinen an den Fenstern, grünen Teppichläufern, grünen Sitzbezügen und zwei Bildern und einem Flachbildschirm an der grünen Wand. Corinne und ich lassen uns in die großzügigen Sitze fallen und genießen bei Tee und Keksen eine, dank Discman und MP3-Player (der Fernseher läuft sechs Stunden mit spannendem Programm (aserbaidschanische Soaps) in voller Lautstärke) entspannte und bequeme Heimreise.
2 Kommentare:
Liebe Leserinnen und Leser von Ellis Blog,
Nur damit hier kein falscher Eindruck von uns entsteht: Wir sind nicht geizig! Eigentlich gar nicht. ;o) ... wir wollten doch nur wissen, ob man hier in Absurdistan Fahrkarten umtauschen kann & überhaupt, die Schlange stehenden nach Baku Fahrwilligen, waren am nächsten Tag bestimmt froh um unsere Tickets! Die sind ja knapp und umworben. Also gar keine Geizkrägen - eigentlich Gutmenschen, Elli und ich ;o)
Liebe Elli,
tolle Geschichte! Mach weiter so, dann kann ich mich weiterhin zurücklehnen und die Besucher meiner Website auf deine lenken :o)
Und meine Stiefel sind eben schon super! Sie waren sehr erfreut von ihrer Erwähnung zu hören. :o)
Grüsse von der anderen Tischseite,
Corinne
wir kommunizieren auch nur noch online...oder leila ;-)
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