Wir gehen spazieren, auf matschigem, öligem Boden, zwischen eingeschossigen Bauten, die mit hohen Mauern umzäunt sind und verrostete, teilweise bunt lackierte Blechtore als Eingang haben. Es ist ziemlich still, kein Motorenlärm, denn die nächste Hauptstraße ist einen halben Kilometer entfernt. Ab und zu nur holpert ein alter Lada oder ein Tanker die schmale Straße entlang. Es riecht nach Schwefel und aus irgendeiner Leitung zischt Gas. Wie riecht Öl? Riecht man das Öl? Frauen schauen uns von ihren kleinen fenstergroßen Geschäften aus hinterher. Einzelne Kinder, die vor den Hoftoren spielen, rufen aufgeregt in den Hof hinein, wenn wir vorbei laufen oder unsere Kameras auspacken. Mehr Frauen als im 2km entfernten Zentrum von Baku sind unterwegs. In ihren Hauskleidern und Hausschuhen laufen sie schnell zum Laden an der Ecke oder tragen das Enkelkind durch die Gegend. Wir sind in der Nähe des Erdöl Feldes Bibi Heybat oder neben dem Erdölfeld bei Balaxani. Das ist eigentlich egal, das Bild ist überall das Gleiche. Trostlose, verdreckte Mondlandschaften. Total heruntergekommene, marode Förderanlagen, die schon seit Jahren nicht mehr funktionieren und jeden der dort vorbeikommt an den Erdölboom in Aserbaidschan und die derzeitige Erdölwirtschaft erinnern. Zwischendrin wippt der ein oder andere Kopf (Pferdekopf-Pumpen) gemütlich auf und ab. Kinder laufen im Dreck zwischen den Förderanlagen und Ölpfützen. Nur zu den derzeit aktiven Erdölfeldern gibt es Begrenzungen. Dort läuft die Erdölfeld-Polizei auf und ab und kontrolliert, dass niemand unerlaubt eindringt und Fotos macht oder sich umschaut. Dort wo das Öl nur noch unzureichend oder gar nicht mehr blubbert, stehen die Häuser direkt neben den Gruben, dazwischen oder nicht weit davon entfernt. Wir können es fast nicht glauben, was wir da sehen. Corinne erzählt mir später, dass sie jedes Mal, wenn wir uns „Erdöl“ anschauen, fast heulen könnte und Till unterhält uns mit noch mehr zynischen Kommentaren als sonst. Kann man wirklich so weit gehen? Jegliche Umwelt- und Sozialstandards komplett ignorieren? Wenn man genügend Geld hat und nicht betroffen ist einfach darüber hinweg sehen? Übersehen, dass die Menschen, die dort leben und keine andere Wahl haben, tatsächlich Menschen sind und keine Maschinen, denen es egal ist, wenn man sie stehen lässt und nicht entsorgt, sobald sie nicht mehr gebraucht werden? Aserbaidschan – ein Land voller Gegensätze. Das habe ich ja schon oft festgestellt, nicht nur bezüglich des sozialen Gefälles innerhalb Bakus, das mich immer wieder in Staunen versetzt, sondern auch durch die riesigen Unterschiede zwischen Stadt und Land. Aber wie weit kann das gehen, wie weit kann eine Gesellschaft, eine Regierung, ein Land, die Missstände und Ungerechtigkeiten ignorieren? In Bibi Heybat, 2 km südlich vom Stadtzentrum fühlt man sich wie in einem Dorf, dabei gehört das Gebiet noch zu Baku und wenn man von dem besiedelten Erdölfeld wieder auf die Straße tritt, dann ist man auch sofort wieder in der Stadt, im Getümmel, im Verkehrschaos, unter Menschen. Ein aserbaidschanischer Freund meinte letztens, dass vor allem das Erdöl Aserbaidschan ins Unglück gestürzt hat, nicht nur die Regierung unter dem Aliyev-Klan. Das Erdöl bringt den einflussreichen Familien viel viel Geld und lässt den größten Teil der Gesellschaft zurück. Die Machthaber interessieren sich nicht besonders für ihr Volk, sondern versuchen nur nach außen hin das Bild vom umsorgten und nach Entwicklung und Fortschritt für alle Menschen strebendem Präsidenten zu wahren. Die Einnahmen aus dem Erdölgeschäft garantieren eine Aufrechterhaltung dieser Attitüde. Mit Geld kann man sich fast alles kaufen, das Schweigen der Menschen, Korruption, Repression und ein Sonnenschein-Lächeln gegenüber dem Rest der Welt. Traurig. Aber ganz ohne Hoffnung bin ich trotzdem nicht, denn solange mir immer noch ein Kind entgegenläuft, das lächelt, weiß ich wenigstens, dass auch in den Menschen, die dort leben der letzte Funken Hoffnung noch nicht gestorben ist.
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2 Kommentare:
Großartiger Bericht!!! Mit Zynismus bemühe ich mich allerdings dann auch immer um eine gewisse Distanz zu solcherlei Dingen. Also es ist einfach klasse, zu lesen, was Du so schreibst, aber Du bleibst auch ein bisschen vorsichtig, was? :-) Eine Erzählung aus dem Präsipalast reicht schließlich.
Grüße in den fernen Osten :-)
Elli, es freut mich, dass du in den Menschen immer noch Hoffnung siehst. Aber noch mehr freue ich mich darüber, dass du die ganze Situation in Aserbaidschan so richtig beschrieben hast.
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